Atomkraftwerke Saporischja in der Ukraine
APA/AFP/ESN/Zaporizhzhia
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Die Gefahren für die AKWs

Russlands Krieg erhöht die Gefahr für einen Atomunfall in der Ukraine. Artillerie und Granaten sind vergleichsweise ein kleines Problem, sagt der Nuklearexperte Georg Steinhauser. Bedrohlicher seien Blackouts und die Überarbeitung des Akw-Personals.

Vier Atomkraftwerke gibt es in der Ukraine, das europaweit größte, Saporischja, wurde bereits von den russischen Streitkräften übernommen. Seitdem mangelt es an Ersatzteilen und Medikamenten. Die dort arbeitenden ukrainischen Mitarbeitenden haben kaum noch Möglichkeiten, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Auch die Verbindungen zu kleineren Atomanlagen in der von Russland belagerten Hafenstadt Mariupol seien gekappt, das berichten Nachrichtenagenturen. Die Bewohner dort hätten weder Strom noch fließendes Wasser.

Tschernobyl ohne Strom

Das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl sei seit Mittwoch von der Stromversorgung abgeschnitten, das berichtete der ukrainische Netzbetreiber Ukrenerho mittels Telegram. Reparaturarbeiten könnten aufgrund der Kampfhandlungen momentan nicht durchgeführt werden. Der Stromausfall in Tschernobyl habe keine kritischen Auswirkungen auf die Sicherheit, teilte die IAEA später in einer Erklärung mit – mehr dazu in ORF.at.

Gefahrenquelle Stromausfall

Artilleriebeschuss ist nach Angaben des Nuklearexperten Georg Steinhauser von der Leibnitz Universität Hannover nicht die Hauptsorge. Die Druckbehälter der AKWs würden ihnen wohl standhalten, vermutet er. Aber wenn Stromleitungen beschädigt werden, wenn es gar ein Blackout gibt, dann sei eine große Gefahr, dass man die Kühlkette nicht aufrechterhalten könne. Kurzfristig reichen die Dieselgeneratoren, um den Reaktor weiter kühlen zu können und eine Kernschmelze zu verhindern.

Das gehe aber nicht ewig, und andererseits fürchtet Steinhauser das Chaos, das durch den Krieg verursacht wurde: „Wenn irgendjemand auf die Idee kommt, die Dieseltanks, die dort vor Ort sind, für die Befüllung von Panzern zu verwenden, dann sieht es schon sehr brenzlig aus.“ Es müsse unbedingt Ruhe einkehren, damit bald wieder ein normaler Betrieb möglich wird, so Georg Steinhauser.

IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi am 4. März 2022 vor einer Karte des Atomkraftwerks Saporischja
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IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi am 4. März 2022 vor einer Karte des Atomkraftwerks Saporischja

Kontrollverlust

Ein „Riesenproblem“ sei auch, dass die Mitarbeiter ihre Entscheidungen nicht mehr selbstständig treffen können, ohne Druck von außen: „ Wir kennen das aus den USA – wenn in Florida ein Hurrikan ansteht, dann darf die Belegschaft selbst entscheiden, wann sie sagt, es ist uns jetzt zu brenzlig, wir drehen unser AKW ab. Da darf es keinerlei Anweisung von der Regierung geben, die vielleicht meint, na ja, ein bisschen geht noch."

Diese Autonomie sei eine zentrale Säule im Sicherheitskonzept von Atomkraftwerken. Dass ein Staat die Kontrolle über seine Atomkraftwerke im Zuge von Kriegshandlungen verloren habe, sei überhaupt noch nie vorgekommen, so Steinhauser.

Überlastung des Personals

Als weiteres Problem sieht er, dass das Personal völlig überlastet sei. In Tschernobyl arbeite die Belegschaft ohne Ruhepause seit zwölf Tagen durch. Normalerweise gebe es in Atomkraftwerken eine Vier-Tage Woche und ein Personal-Rotationsprinzip, das ein ausgeruhtes und konzentriertes Arbeiten ermöglicht. Auch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA ist besorgt über diese Zustände.

In Österreich keine Kaliumiodidtabletten nötig

In Österreich kaufen sich derzeit viele Menschen Kaliumiodidtabletten als Schutz vor einem atomaren Unfall. Diese Tabletten sollten keinesfalls ohne behördliche Anordnung eingenommen werden, warnt Georg Steinhauser, und beruhigt zugleich. Seiner Meinung nach könne es „kein Szenario in der Ukraine geben, wegen dem in Österreich die Einnahme von Jodtabletten angeordnet wird. Das ist allein aufgrund der Distanz nicht vorstellbar“.

Die Internationale Atomenergie-Behörde IAEA hat Moskau und Kiew jedenfalls dringend aufgefordert, sich auf einen Plan zur Sicherung der kerntechnischen Anlagen zu einigen.