Porträtfoto von Friedrich Schlegel
Gemeinfrei
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250. Geburtstag

Friedrich Schlegel: Leben als Gesamtkunstwerk

Friedrich Schlegel ist der Vordenker der literarischen Frühromantik in Deutschland gewesen. Er suchte nach einer Synthese von Leben und Kunst, die sich nicht erfüllte. Vor 250 Jahren, am 10. März 1772, wurde Schlegel in Hannover geboren.

Die Intention des führenden Theoretikers und Schriftstellers der Frühromantik bestand darin, die Trennung zwischen Leben und Denken, Rationalität und Irrationalität, körperlicher und seelischer Liebe aufzuheben. Auch die Grenzen von Poesie, Philosophie oder Religion sollten überwunden werden. Sein Ziel war es, das Leben als Gesamtkunstwerk zu gestalten.

Vielseitiger Intellektueller

Als „freischwebender“ Intellektueller war Schlegel äußerst produktiv: Er wirkte als Schriftsteller, Literaturkritiker, Kulturphilosoph, Altphilologe, Historiker und Indologe. In zahlreichen Essays und Aphorismen präsentierte sich Schlegel als ironischer Provokateur, der ideologische, philosophische und religiöse Gewissheiten in Frage stellte. Er lehnte Letztbegründungen und Totalitätsbestrebungen ab und bevorzugte das Fragmentarische, Unabgeschlossene und Paradoxe.

Gegen Fichtes „reines Ich“

Die Produktivität der intellektuellen Arbeit korrespondierte mit Schlegels nomadischem Leben. Der am 10. März 1772 als Sohn einer protestantischen Pastoren- und Gelehrtenfamilie in Hannover geborene Friedrich Schlegel brach eine Banklehre und universitäre Studien in Göttingen und Leipzig ab, eignete sich profunde Kenntnisse der klassischen Antike an und verbrachte ein Jahr in Jena, wo er den Philosophen Johann Gottlieb Fichte kontaktierte.

Schlegel setzte sich mit den philosophischen Reflexionen Fichtes auseinander und erweiterte sie. In seiner „Wissenschaftslehre“ war der Philosoph von dem „reinen Ich“ ausgegangen, das sich von der „niederen“ menschlichen Sinnlichkeit ablöst. Dieser These konnte Schlegel wenig abgewinnen; sie war ihm zu einförmig. Er ergänzte die Bewusstseinstheorie Fichtes durch die Elemente Liebe, Sexualität, Geselligkeit, Bildung, Witz und Ironie. Eine besondere Freundschaft verband Schlegel mit dem Dichter und Philosophen Novalis, der mit dem Symbol der „blauen Blume“ das Emblem der frühromantischen Bewegung schuf.

Bohemien in Berlin

Bereits ein Jahr später erfolgte der Umzug nach Berlin, wo Schlegels fulminante Karriere als Stardenker der literarischen Szene begann. Dort lernte er auch den Theologen und Philosophen Friedrich Schleiermacher kennen, mit dem er in einer Wohngemeinschaft lebte, Platons Schriften studierte und Fichtes „Wissenschaftslehre“ las. Schlegel verkehrte auch in den Berliner literarischen Salons, wo er Rahel Varnhagen von Ense, Ludwig Tieck und Dorothea Veit – seine spätere Ehefrau – kennenlernte.

Die Salons waren die Orte einer aufgeklärten, ungezwungenen Geselligkeit, bei der gemeinsam diskutiert, gelesen und getafelt wurde. Die Salons dienten dem zweckfreien Zusammentreffen von Intellektuellen, die ihre philosophischen und literarischen Werke präsentierten, ohne befürchten zu müssen, von den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern vernichtend kritisiert zu werden. Die Salons können als Laboratorium eines utopischen Projekts verstanden werden, die Jürgen Habermas später als „herrschaftsfreie Kommunikation“ bezeichnete.

„Progressive Universalpoesie“

1799 zog Schlegel nach Jena zurück, wo er mit Dorothea Veit, seinem Bruder August Wilhelm und dessen Ehefrau Caroline eine Wohngemeinschaft gründete. Gäste waren Ludwig Tieck, Novalis, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Johann Gottlieb Fichte. In einer gemeinsamen Denkanstrengung des „Sym-philosophierens“ sollte ein Modell entwickelt werden, Theorie und Praxis zu vereinen. Die Programmatik dafür – die sogenannte „progressive Universalpoesie“ – wurde in der Zeitschrift „Athenaeum“ formuliert, die als das bedeutendste literarische Manifest der frühromanischen Bewegung angesehen werden kann.

Ein Zitat daraus: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen.“

Gegen die Philister

Die Forderung, „das Leben poetisch machen“ stand im krassen Gegensatz zur bourgeoisen Mentalität, die als Lebensideal die ökonomische Prosperität ansah. Der charakteristische Repräsentant dieser eindimensionalen Denk- und Lebensweise war der „Spießbürger“, der „Philister“, der von der bürgerlichen Gesellschaft „zur Maschine gedrechselt wurde“. Nach der Auffassung von Schlegel und seiner Freunde sollte die bornierte Überzeugung des Philisters, „wie man zu leben hat“, durch Provokationen in Frage gestellt werden.

Sendungshinweis:

Ö1 Dimensionen: Die absolute Freiheit des Dichters. Zum 250. Geburtstag von Friedrich Schlegel, 7. März 19.05

Ein probates Mittel war die Ironie – „das klare Bewusstsein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos“. Ein Beispiel dafür ist das „Loblied auf den Müßiggang“, das sich in Schlegels Roman „Lucinde“ findet. Ein Zitat: „O Müßiggang, Müßiggang! du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung; dich atmen die Seligen, und selig ist, wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod! einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb.“

„Ironie als Buffonerie“

Ironie meinte bei Schlegel keine rhetorische Figur, in der eine bestimmte Aussage relativiert wird. Er verstand darunter die kunstvoll arrangierte Redeweise, die eine Vieldeutigkeit mit ihrer „herrlichen Schalkheit“ schafft. Die eigentliche Heimat der Ironie ortete Schlegel in der Philosophie, wo sie sich als „transzendentale Buffonerie über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigene Kunst, Tugend oder Genialität“.

Ende der Utopie

Das frühromantische revolutionäre Projekt war nicht von langer Dauer. Interne Streitigkeiten und unterschiedliche Vorstellungen, wie man das Programm realisieren könnte, führten zur Auflösung der „Romantiker-Wohngemeinschaft und zum Ende des „Sym-philosophierens“. Schlegel setzte sein Nomadenleben fort; mit Dorothea Veit zog er nach Berlin, Dresden, Leipzig, Paris und Köln, wo er zum Katholizismus konvertierte.

Der Rückzug in die Glaubensburg der katholischen Religion erregte großes Aufsehen und wurde vielfach als Verrat an der Idealen der frühromantischen Bewegung empfunden. Dazu kam, dass er eine Stellung als Hofsekretär bei der Wiener Armeehofkommission annahm. Er hielt noch Vorlesungen in Wien und Dresden, wo er in der Nacht zum 12. Jänner 1829 verstarb.

Relativierung des Scheiterns

Vielfach wurde erwähnt, dass Schlegels Projekt einer anarchischen Poetisierung des Lebens, das im Dogmatismus des Katholizismus und im politischen Konservativismus endete, gescheitert sei. Dennoch sollte man dem frühromantischen Aufbruch, den der Philosoph Rüdiger Safranski „als eine Explosion von schöpferischen Initiativen“ bezeichnet, als singuläres Ereignis ansehen, das die damaligen gesellschaftspolitischen Verhältnisse kurzfristig zum Tanzen brachte.