Weltkarte mit Verteilung von Coronavirus-Ausbrüchen
MACLEG – stock.adobe.com
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Übersterblichkeit

Dreimal mehr Tote als in offizieller Statistik

Knapp sechs Millionen Menschen sind in den ersten beiden Pandemiejahren an SARS-CoV-2 gestorben, so offizielle Statistiken. Die Übersterblichkeit lag aber laut einer neuen Studie dreimal höher: Ihr zufolge starben bis Ende des Vorjahrs 18,2 Mio. Menschen an oder in Zusammenhang mit Covid-19.

Die „Toten der Pandemie zu zählen“, ist alles anders als einfach. Denn Länder definieren Covid-19-Todesfälle unterschiedlich, sie führen mehr oder weniger CoV-Tests durch und es gibt handfeste politische Gründe, nicht allzu genau zu zählen – denn dann kann die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen besser überprüft werden.

Eine Möglichkeit, sich der wahren Dimension der Pandemie zu nähern, ist das Betrachten der Übersterblichkeit – also der Vergleich zwischen den durchschnittlich zu erwartenden Todesfällen pro Jahr und den tatsächlich gezählten. Genau das hat nun ein Team um Haidong Wang von der Universität Washington in der nach Eigenangaben bisher umfassendsten Art und Weise getan.

191 Länder akribisch untersucht

Für 191 Länder untersuchte es die Übersterblichkeit von Beginn der Pandemie im Jänner 2020 bis Ende 2021 – basierend entweder auf offiziellen Statistiken (etwa die Human Mortality Database und das European Statistical Recovery Dashboard) oder mit Hilfe von Modellberechnungen. Die Forscherinnen und Forscher gingen akribisch vor und schlossen atypische Zeiträume aus: in Europa etwa einige Wochen im Sommer, in denen Hitzewellen die Übersterblichkeit erhöhten und es nur relativ wenige CoV-Infektionen gab.

In dem Zeitraum seien 18,2 Mio. Menschen zusätzlich gestorben, mehr als dreimal so viel, wie die offiziellen Covid-19-Statistiken aufweisen, schreibt das Team um Wang soeben in der Fachzeitschrift „The Lancet“.

Karte mit unterschiedlicher Übersterblichkeit weltweit
The Lancet, COVID-19 Excess Mortality Collaborators
Übersterblichkeit weltweit: wärmere Farben stehen für höhere Werte

Im weltweiten Durchschnitt starben in der Pandemie 120 Menschen mehr pro 100.000 als zuvor. Am höchsten war diese Übersterblichkeitsrate mit einem Wert von 735 in Bolivien, gefolgt von Bulgarien, Eswatini (ehemals Swasiland) und Nordmazedonien – wo jeweils rund 600 Menschen mehr pro 100.000 starben als üblicherweise.

Island mit stärkster Untersterblichkeit

Die höchste Übersterblichkeit generell verzeichneten die Andenländer Südamerikas, afrikanische Länder südlich der Sahara sowie Staaten in Ost- und Mitteleuropa. Österreich wird in der Studie Westeuropa zugeordnet und liegt dort mit 107 zusätzlichen Toten im unteren Bereich – und besser als etwa Großbritannien, Deutschland und Italien. Eine geringere Übersterblichkeit verzeichneten in Westeuropa u. a. Schweden, Dänemark, Irland, die Schweiz – und Island.

Letzteres gehört zur kleinen Gruppe von Ländern, in der laut Studie während der Pandemie weniger Menschen gestorben sind als davor. Mit minus 48 Toten pro 100.000 Personen liegt Island hier weltweit an der Spitze, gefolgt von Australien, Singapur, Neuseeland und Taiwan. In China, in dem die Pandemie begann, veränderte sich die Sterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren so gut wie nicht.

4,1 Mio. „zusätzliche“ Tote in Indien

In absoluten Zahlen war Südasien am stärksten betroffen, hier starben 5,3 Millionen Menschen „zusätzlich“. In Nordafrika und im Nahen Osten waren es 1,7 Mio., in Osteuropa 1,4. Mit 4,1 Mio. „zusätzlichen“ Toten war Indien das am stärksten betroffene Land, gefolgt von den USA und Russland (jeweils 1,1 Mio.), Mexiko und Brasilien (jeweils 800.000). Für Österreich haben die Statistiker und Statistikerinnen ein Plus von 18.000 Toten in den ersten beidPandemiejahren errechnet. Das passt in etwa zu Daten der Statistik Austria, die im Jänner von rund 8,7 Prozent mehr Todesfällen in Österreich im Jahr 2021 berichtete – bei 90.000 Todesfällen insgesamt.

Direkte und indirekte Folgen der Pandemie

Die genauen Ursachen für die Übersterblichkeit kann die aktuelle Studie nicht liefern, wie die Autoren und Autorinnen betonen. Die Zahl setze sich aus den direkten Covid-19-Todesfällen und den indirekten zusammen – etwa aufgrund von mehr Suiziden, Toten durch Rauschgifte und verschobenen medizinischen Behandlungen. „Studien aus mehreren Ländern, darunter aus Schweden und den Niederlanden, legen aber nahe, dass Covid-19 einen Großteil der Übersterblichkeit erklärt“, sagt Hauptautor Haidong Wang. Für die meisten Länder gebe es dafür allerdings nicht genug Evidenz. Weitere Forschung sei deshalb dringend nötig, um herauszufinden, „wieviele Tote direkt durch Covid-19 verursacht wurden und wie viele durch die indirekten Folgen der Pandemie“.