„Wiener Blut“, Szenenausschnitt mit Theo Lingen und Hans Moser
ORF/EOS Entertainment
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„Musikstadt Wien“

Filmmusik als Trägerin der NS-Ideologie

Kultur hat bei der Verbreitung der NS-Ideologie eine wichtige Rolle gespielt. In Wien produzierte Filme etwa negierten Moderne und Avantgarde und setzten auf das Klischeebild eines unbeschwerten, walzertanzenden und „ewigen Wiens“. Die Filmmusik hatte daran großen Anteil, wie der Musikwissenschaftler Timur Sijaric in einem Gastbeitrag schreibt.

Am Anfang von „Wiener Blut“ (D 1942), einem der bekanntesten abendfüllenden Filme der Zeit, bereitet das Haushaltspersonal einen musikalischen Empfang mit dem Lied „Grüß Gott, tritt ein (bring Glück herein)“ für das jungvermählte Grafenehepaar, bestehend aus einer Urwienerin und ihres deutschen Ehemanns vor.

Porträtfoto von Timur Sijaric
IFK

Über den Autor

Timur Sijaric ist Musikwissenschaftler und derzeit Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften | Kunstuniversität Linz in Wien (IFK).

Wie im musikalischen Ausgangsstoff von Johann Strauß Sohn, der zum Zwecke der „filmischen Erzählung“ durch den Regisseur Willi Forst überarbeitet wurde, spielt die Handlung des Films in der Zeit des Wiener Kongresses. Die Probe des Liedes wird von Lakaien Knöpfe(r)l geleitet, verkörpert durch Hans Moser, der dazu sagt: „Es handelt sich hier um unsere Reputation – was soll sich der Herr Graf über unsere Musikstadt Wien denken […]?“

Trademark Wien

Obwohl der Film im historischen Kontext des beginnenden 19. Jahrhunderts inszeniert ist, spiegelt Knöpfe(r)ls Frage die zeitgenössische Intention und die Essenz der Wien-Film GmbH, eines national-sozialistisch kontrollierten Filmproduktionskonglomerats, das durch die Verstaatlichung der österreichischen Filmindustrie, dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich folgend, gegründet wurde.

Laut Regisseur Karl Hartl, der durch die Entscheidung der „Herren in Berlin“ (angewiesen von Propagandaminister Goebbels) zum Produktionschef des Studios wurde, sollte die Wien-Film ursprünglich „Ostmärkische Filmkunst“ heißen, jedoch wurde das Studio schlussendlich doch zur „Wien-Film“. Der Grund? Wien sei – im Vergleich zur „Ostmark“ – „[…] ein internationaler, ein weltweiter Begriff“ und das Studio genoss den Ruf, Filmproduktionen mit leichter und ‚apolitischer‘ Thematik zu produzieren.

Violinschlüssel als ideologischer Schlüssel

Als zentraler Aspekt dieser Repräsentation der Wien-Film stand die Musik im Vordergrund, nicht nur mit der Devise „unserer [Wiener] Reputation“ – wie Mosers Charakter sich in „Wiener Blut“ ausdrückt – sondern auch in der Rolle der Filmmusik und sogar visuell: Das Logo der „Wien-Film“ zeigt einen Violinschlüssel, ein weltweiter Begriff für die Vermarktung der ‚Musikstadt Wien‘.

„Wiener Blut“, Szenenausschnitt mit Willy Fritsch und Dorit Kreysler
ORF/EOS Entertainment
„Wiener Blut“, Szenenausschnitt mit Willy Fritsch und Dorit Kreysler

Die Filmmusik und ihre Wirkung als Medium der ideologischen Vermittlung von Sujets des Wienerischen, Othering, Genderaspekten sowie Emotionalisierung von insbesondere eskapistischem Inhalt in den Filmen der nationalsozialistischen Filmproduktion, exemplifiziert anhand der Wien-Film-Produktionen, ist der Dreh- und Angelpunkt des Dissertationsprojekts „Filmmusik zur Ideologievermittlung der Wien-Film 1938–1945“. Der forscherische Fokus ergibt sich hierbei aus einem vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) unterstützen Projekts (Leitung: Stefan Schmidl, Laufzeit 2018-2021), in welchem die „Wien-Film“ vollinhaltlich film- und musikwissenschaftlich untersucht wurde.

Philharmoniker und Sängerknaben

Durch etwa fünfzig abendfüllende Filme versuchte sich das Studio mit der ‚Trademark Wien‘ sowohl in der nationalsozialistischen Filmindustrie als auch dem Publikum gegenüber zu positionieren. Die Auswahl der Intentionen, auf welche die Filmmusik projiziert wird, bildet die Wirkmächtigkeit der auditiven Ebene in den Filmen ab. Für die Musik sind nicht nur Personen verantwortlich, welche Handlung und Sujets kompositorisch vertonen, sondern auch Institutionen – wie die Wiener Philharmoniker oder die Wiener Sängerknaben –, die durch ihre Mitwirkung der (Selbst)Repräsentation der „Wien-Film“ und der Stadt selbst einen weiteren Hauch Wiener Flair im „Dritten Reich“ verleihen.

Vortrag

Timur Sijaric hält am 14. März, 18:15 Uhr, am IFK einen Vortrag über die „Wien-Film und ihre Musik als Subjekt, Objekt und Prädikat der Ideologievermittlung im NS-Regime“.

Sendungshinweis

3sat strahlt „Wiener Blut“ am 2. April, 11.15 Uhr aus.

Die Repräsentation der Stadt wird durch das Prisma des Historischen oder „unvergänglichen“ Wiens vermittelt, während der avantgardistische Geist Wiens fast vollständig in Vergessenheit gedrängt wird. Die Filmmusik eignet sich für diese Darstellung, da einerseits durch die Einbettung von bekannten Musikwerken und andererseits durch die Verwendung des kompositorischen Handwerks diese Intentionen assoziativ an das Publikum vermittelt werden.

Filmmusikalische Strategien schaffen „Wiener Blut“

In Anhand von schriftlichen, visuellen und musikalischen Materialien zu den Filmen werden audiovisuelle Strategien der musikalischen Erzählung in der Dissertation identifiziert und analysiert: Vom konventionellen Underscoring – einer deskriptiven und untermalenden Kompositionstechnik in der Filmmusik – bis zur Paraphrasierung und Zitierung der vielen Facetten der Wiener Musiktraditionen – ‚ernste‘ Musik, aber auch Operetten oder Wienerlieder.

„Wiener Blut“, Szenenausschnitt mit Maria Holst und Willy Fritsch
ORF/EOS Entertainment
„Wiener Blut“, Szenenausschnitt mit Maria Holst und Willy Fritsch

So zeigt es sich etwa im Vorspann zu Willi Forsts „Wiener Blut“, in welchem die Zutaten einer Mixtur und ihre Handhabung haargenau – und den Anmerkungen in Drehbuch und Partitur entsprechend – schlussendlich im Entstehen des „Wiener Blut“ und der direkten musikalischen Zitierung des Konzertwalzers von Johann Strauß Sohn resultieren. Aussagen von Regisseur Willi Forst und Tagebucheinträge von Propagandaminister Goebbels lassen darauf schließen, dass diese Darstellung als erfolgreiche Propaganda der Stadt Wien wahrgenommen wurde, in dem „Das deutsche Publikum darin die Sehnsucht nach einer unbeschwerten Zeit erkannte […]“.

Hintergründige Wirkmacht vermittelt Ideologie

Scheinbar ‚nur‘ hintergründig präsent und den Filmen dienend, bildet die Filmmusik mancher Wien-Film Produktionen jene Ebene, welche die Intention der Ideologievermittlung, die Darstellung des „ewigen“ Wiens, deutlich kommuniziert. Die Filmmusik der „Wien-Film“-Produktionen wirkt für das Filmpublikum nicht per se prominent, aufgrund ihrer propagandistischen Wirkweise muss sie aber jedenfalls als zentrales Element der Produktion verstanden werden. Die Ideologievermittlung zur „Musikstadt Wien“ findet über die Filmmusik den Weg zum Publikum und überträgt Werte, Weltanschauung und Wirkmacht.