Permafrostgebiet im Norden Schwedens aus der Vogelperspektive
AFP – JONATHAN NACKSTRAND
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Europas Permafrost-Moore vor kritischem Punkt

In Mooren sind große Mengen an Kohlenstoff gebunden. Viele von ihnen befinden sich in Permafrostgebieten in Nordeuropa. Laut einer neuen Studie könnten sie wegen der Klimaerwärmung schon bald tauen – und damit mehr Kohlenstoff freisetzen als speichern.

Die dann freigesetzten großen Mengen an Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4) würden ihrerseits die Klimakrise befeuern, schreibt ein Team um Richard Fewster von der University of Leeds in einer Studie, die soeben im Fachblatt „Nature Climate Change“ erschienen ist. Die Fachleute warnen davor, dass vor allem Europas Permafrost-Moorgebiete bald an diesen Kipppunkt geraten könnten. Das Team, dem auch der u.a. am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien tätige Forscher Christopher Smith angehört, hat sich mit dem Zustand der großteils in arktischen Breiten liegenden Gebiete auseinandergesetzt.

Achtfache Fläche von Österreich bedroht

Deren mögliches Verhalten sei in Klimamodellen bisher unterrepräsentiert, schreiben sie in ihrer Arbeit. Bei einer Klimaerwärmung von zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Durchschnittswert könnten rund 700.000 Quadratkilometer an Permafrost-Mooren auftauen – eine Fläche mehr als acht Mal so groß wie Österreich.

Das würde dann aus den bisher als Kohlenstoffsenken fungierenden nördlichen Feuchtgebieten Kohlenstoffquellen machen – Wissenschaftler sprechen in solchen Fällen vom Erreichen eines „Kipp- oder Umschlagpunktes“, ab dem sich die Voraussetzungen abrupt ändern können. Wann das aber passiert, sei „höchst unsicher“, heißt es.

Deutliches Schrumpfen

Die neuen Modellierungen würden nun zeigen, dass die nördlichen Moorgebiete in Europa und Westsibirien offenbar schon recht knapp vor einem Umschlagpunkt stehen. In Norwegen, Schweden, Finnland und dem äußersten Nordwesten Russlands (Fennoskandinavien) prognostizieren die Forscherinnen und Forscher einen weitreichenden Verlust des klimatischen Raumes für Permafrost-Moore noch im kommenden Jahrzehnt.

Demnach würden unter verschiedensten Klimaannahmen in den 2030er Jahren nur noch 8.000 bis 16.000 Quadratkilometer die Voraussetzungen für solche Bodenformen bieten. Diese Gebiete wären dann 89 bis 94 Prozent kleiner als im Vergleichszeitraum von 1961 bis 1990.

Permafrostgebiet im Norden Schwedens
AFP – JONATHAN NACKSTRAND
Permafrostgebiet im Norden Schwedens

Mehr Kohlenstoff als in Europas Wäldern

In Westsibirien sei auch unter relativ optimistischen Erwärmungsszenarien mit ähnlich großen Flächenverlusten zu rechnen. Allerdings wäre dieser Prozess dort erst in den 2070er Jahren abgeschlossen, heißt es in der Arbeit der Fachleute. Unter pessimistischen Klimaannahmen, bei denen die Erwärmung auch bis in die 2090er Jahre anhält, würde es zu einer Situation kommen, wo ganz Europa und Westsibirien nahezu keine Permafrost-Moorgebiete mehr beherbergen können.

Die gesamten Gebiete, die wegfielen, wenn sich die Erde um mindestens zwei Grad Celsius erwärmt, enthalten geschätzte 37 bis 39,5 Gigatonnen Kohlenstoff. Das ist laut den Fachleuten rund das doppelte an Kohlenstoff, der zur Zeit in Europas Wäldern eingelagert ist.

Klimapolitik kann noch gestalten

Weitere Untersuchungen brauche es aber dahin gehend, wie ein durch wärmere Temperaturen im Norden gesteigertes Pflanzenwachstum und eine erhöhte Torfbildung die Kohlenstoffbilanz wieder positiver ausfallen lassen können.

Würden jedoch rigorosere Maßnahmen zur Emissionsreduktion umgesetzt, könnten in den 2090er Jahren Bedingungen herrschen, die in Westsibirien Permafrost-Moore erlauben, die fast 14 Gigatonnen Kohlenstoff binden. Das zeige, wie stark die Klimapolitik noch mitgestalten könne, wie sich diese Gebiete verändern werden, so die Wissenschaftler.