Im Wolfsforschungszentrum Ernstbrunn werden Wölfe und Hunde ab dem Alter von wenigen Tagen von Menschen großgezogen, und dabei wird ihr Verhalten erforscht. Das bietet Fachleuten die Möglichkeit, Hunde und Wölfe miteinander zu vergleichen und im Hinblick auf verschiedenste Fragestellungen zu untersuchen.
Hunde gehorchen, Wölfe nicht unbedingt
Ein Unterschied zwischen Wölfen und Hunden ist etwa, dass Hunde sich dem Menschen unterordnen, auf Befehle gehorchen und auch eher den Menschen um Hilfe bitten. Letzteres habe sich beispielsweise in Experimenten gezeigt, in denen der Futterzugang erschwert wurde. Wölfe leben in Rudeln, die zwar auch einen Führer haben, die aber trotzdem egalitärer angelegt seien.
Der Wolf ordnet sich dem Menschen nicht unter und ist äußerst kreativ, mit neuen Situationen umzugehen. „Wölfe reden ununterbrochen miteinander. Das verwechselt man oft mit Aggression, das ist aber keine. Es wird ständig verhandelt, wer wo steht, wer zu wem Zugang hat,“ erklärt der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal, Mitbegründer des Wolfsforschungszentrums Ernstbrunn. Auch das sei ein Unterschied zu Hunden, die nicht mehr so kommunikativ miteinander seien.
Dem Menschen ähnlich
Im Wolfforschungszentrum Ernstbrunn haben alle Wölfe Namen. Und da die meisten aus Kanada stammen und als Babys hier aufgezogen wurden, heißen sie zum Beispiel Yukon. Kurt Kotschral hat einige von ihnen monatelang beim Aufwachsen begleitet und erforscht.
Wölfe seien Menschen viel ähnlicher als Hunde, so Kurt Kotrschal. „Was wir heute wissen ist, dass Wölfe so etwas wie ein Sozialsystem haben. Sie leben sehr ähnlich wie die Menschen in kleinen Kleingruppen, in Familienclans. Nach innen sind sie solidarisch, etwa beim Jagen und Aufziehen des Nachwuchses, nach außen, gegen Nachbargruppen, sind sie durchaus kämpferisch,“ erklärt Kotrschal.
Wie die Menschen sind auch Wölfe hochkomplexe Wesen, sie haben einen individuellen Charakter, werden aber auch geprägt durch ihre Umgebung. Man könne also nie ganz vorhersagen, wie sich ein Wolf verhält, oder was typisch für einen Wolf sei.
„Keine Gefahr für Menschen mehr“
In Europa wächst ihre Zahl, weil die Wälder heute voller Wild sind. Genau deshalb sind sie heute auch keine Gefahr mehr für den Menschen, meint Kotrschal. „Vor zwei-, dreihundert Jahren waren bei uns etwa die Wälder im Wesentlichen ohne Wildbestand. Daher sind immer wieder Wölfe auf die Idee gekommen, dass man auch Menschen erbeuten kann. Diese Situation haben wir heute nicht. Die Wölfe stehen heute im Wald sozusagen vor einem reich gedeckten Tisch."
Davon abgesehen gehört der Mensch nicht zum Beuteschema des Wolfs, er ist sogar menschenscheu. Mit einigen Ausnahmen: Wölfe sind neugierig, und gerade junge Wölfe kommen manchmal hervor und beobachten die Menschen. Solange man sie nicht füttert, behalten sie aber ihre Scheu und kommen Menschen nicht zu nah.
Prinzipiell können Wölfe durchaus gefährlich werden. Wenn Menschen zum Beispiel Jungtiere anfüttern, werden die Wölfe semi-zutraulich. Werden sie dann später in die Enge getrieben vom Menschen, kann es durchaus passieren, dass sie auch Menschen beißen. Deshalb sollte man Wildtiere keinesfalls anfüttern, raten Wolfsforscherinnen und -forscher.
In Österreich wenige Wölfe
In Deutschland sei die Zahl der Wölfe in den letzten 20 Jahren von null auf bis zu dreitausend Exemplare gestiegen, mit Ausnahme von Bayern. In Österreich kennt Kurt Kotrschal nur ein einziges stabiles Rudel am Truppenübungsplatz Allensteig.
In Österreich, Bayern und Südtirol gibt es vergleichsweise wenig Wölfe, der Grund seien illegale Erschießungen. Das schütze weder die Bauern noch löse es irgendein Problem, sondern im Gegenteil es gebe Daten, die zeigen, wenn man sozusagen prophylaktisch auf Wölfe schießt, dann steigen in dem Gebiet die Wolfsrisse von Nutztieren und sinken nicht.
Das liege daran, dass man durch das Beschießen die Sozialstruktur der Gruppe durcheinanderbringe. Die Wölfe würden dann opportunistischer jagen, das heißt, sie nehmen dann das, was am leichtesten zu bekommen ist: Hühner und Schafe statt Wildtiere.
Strom hilft gegen Wolfsrisse
Was also tun gegen Wolfsrisse? Kurt Kotrschal rät je nach Region zu geführten, geschützten Herden mit Hunden oder zum Elektrozaun. Die Wölfe würden allerdings jede Schwäche des Systems ausnutzen. Wenn der Zaun zu niedrig sei, zu überwachsen, oder wenn der Strom fehlt, dann würden Wölfe sehr schnell lernen, wie man diese Hürde überwindet, so Kurt Kotrschal.
Buchhinweis
Kurt Kotrschal: Der Wolf und Wir. Wie aus ihm unser erstes Haustier wurde – und warum seine Rückkehr Chancen bietet, 2022, Brandstätter Verlag
Doch auch Wölfe hätten ihre Limits. So könne ein gut erhaltener Elektrozaun von mindestens 1,20 Meter Wölfe effizient abhalten. „Ein gutes Mittel ist zum Beispiel, wenn man erreicht, dass sich der Wolf am Strom einmal ein bisschen die Nase verbrennt. Das merken sie sich sehr, sehr gut.“
Ähnlich sei es bei geführten Herden mit Hunden. Auch da müsse man sehr genau arbeiten als Mensch. Man müsse die Wölfe und auch die Schafe kennen, sonst lernen die Wölfe, diese Verteidigung zu überwinden. Und während zwei Wölfe auf der einen Seite die Herdenschutzhunde beschäftigen, reißen die anderen Wölfe, auf der anderen Seite der Herde die Schafe. Es sei wie ein ständiger Rüstungswettlauf zwischen Wolf und Mensch. „Wölfe geben nicht so rasch auf, sie sind ziemlich hartnäckig“, so Kotrschal.
Mit Wölfen zur Artenvielfalt
Wölfe können auch nützlich sein, und zwar für den Artenschutz, so Kotrschal. Denn dort, wo es Wölfe gibt, kontrollieren sie effektiv die Dichte der sogenannten Mesoprädatoren. Das wären in Österreich etwa der Rotfuchs und der Goldschakal. Beide fressen sehr viel Kleintiere, etwa Eidechse, oder Vögel. Die Wölfe halten Goldschakal und Rotfuchs unter Kontrolle, mit dem Effekt, dass die lokale Biodiversität steigt.