Global Urban Evolution Project
Marc Johnson
Marc Johnson
Urbanisierung

Weißklee passt sich Städten an

Weißklee hat sich in Städten auf der ganzen Welt an seine urbane Umgebung angepasst und produziert weniger Abwehrstoffe gegen natürliche Fressfeinde. Für Forscherinnen und Forscher ist das ein weiterer Beweis dafür, dass der Mensch die Evolution zahlreicher Tier- und Pflanzenarten maßgeblich mitbestimmt.

Seit langem passen sich Menschen nicht mehr ihrer Umgebung an – sie verändern sie vielmehr soweit, dass sie ihren Bedürfnissen entspricht. Die Folgen sind urbanisierte Gesellschaften: Global leben mehr Personen in Städten als auf dem Land. Das immer weiter wachsende urbane Umfeld macht aber auch etwas mit den darin lebenden Pflanzen und Tieren.

Ein Forschungsteam um den Doktoranden James Santangelo von der Universität von Toronto-Mississauga hat nun in einer umfangreichen Studie untersucht, wie es um Weißklee in Städten auf der ganzen Welt bestellt ist. Weißklee deshalb, weil die Pflanze auf fast allen Kontinenten verbreitet und ein oft gesehener Gast in urbanen Regionen ist. Das Ergebnis ihrer Untersuchung präsentieren die Forscherinnen und Forscher aktuell im Fachjournal „Science“.

Weniger Blausäure im Klee

Begonnen habe alles mit einer Untersuchung von Weißklee in Toronto, erzählt Santangelo gegenüber science.ORF.at. Schon dabei konnten die Forscher feststellen, dass die Pflanze in der urbanen Umgebung weniger Abwehrstoffe gegen Fressfeinde produzierte als in ländlichen Gebieten. Konkret stellte das Team fest, dass der Klee in Toronto weniger Cyanwasserstoff, auch bekannt als giftige Blausäure, bildete.

„Wir hatten Daten aus einer Stadt, wollten unsere Untersuchung aber noch ausweiten“, so Santangelo. Aus einer Stadt wurden bald zwei, dann fünf. Dass das Team im Endeffekt Daten aus 160 Städten bekommen würde, damit hätte der Doktorand nach eigenen Angaben nicht gerechnet.

Expertensuche in sozialen Medien

Zu verdanken sei die enorm große Datenmenge unter anderem einer Nachricht auf einer Social-Media-Plattform. „Einer der Projekt-Betreuer hat es auf Twitter in mehreren Sprachen vorgestellt und dabei auch Helferinnen und Helfer gebeten, uns mit zusätzlichen Daten aus ihrer jeweiligen Region zu unterstützen.“ Das Interesse auf den Tweet habe die ursprünglichen Erwartungen deutlich überstiegen: „Unser Ziel von 50 Städten hatten wir nach ein bis zwei Wochen schon überschritten.“

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Insgesamt konnten Santangelo und sein Team so auf Informationen von über 110.000 Weißkleepflanzen zugreifen. „All das war natürlich nur möglich, weil uns über 280 Personen mit den Daten versorgt haben.“ Die freiwilligen Helferinnen und Helfer – zum Teil Biologen aber auch Studierende, kamen aus 26 Ländern: von Kanada über Deutschland bis nach Japan.

Fressfeinde und Wassermangel

Anhand der Daten konnte das Team aufzeigen, dass sich die Menge an Blausäure in den Pflanzen in rund der Hälfte aller untersuchten Städte von ländlichem Weißklee deutlich unterscheidet. Zusätzlich haben die Forscherinnen und Forscher auch rund 2.500 Genome von Kleeproben aus den Städten und ländlichen Umgebungen sequenziert, um die Veränderung in den Pflanzen noch genauer feststellen zu können. Entstanden ist eine Datenbank, die laut Santangelo auch eine gute Grundlage für zahlreiche weitere Untersuchungen auf dem Gebiet bildet.

Dort, wo sich die Menge an Blausäure im Klee von ländlichen Pflanzen unterschied, stellte das Team Gemeinsamkeiten unter den verschiedenen Städten fest. „Es ist fast immer so, dass die Pflanzen in den urbanen Umgebungen weniger Cyanwasserstoff produzieren“, so Santangelo. Als die zwei Hauptgründe dafür nennen die Forscher die geringere Anzahl an Fressfeinden wie Insekten und Stress-Faktoren wie etwa zu wenig Wasser für die Pflanzen. Rob Ness, ein Leiter des Forschungsprojekts, erklärt: „Das Ergebnis der Studie ist der klarste Beweis bisher, dass wir Menschen die Evolution von Leben jeder Art in den von uns geschaffenen Lebensräumen maßgeblich beeinflussen.“

Städte ähneln einander weltweit

Eines zeige das Studienergebnis laut Santangelo außerdem klar auf: „Egal ob Tokio, Toronto, Melbourne oder München – urbane Lebensräume sind einander viel ähnlicher als zum Beispiel Toronto und dessen ländlicheren Nachbargebiete.“ Das Ökosystem großer Städte sei also in einigen Aspekten vergleichbar, egal wo auf der Welt man sich gerade befindet.

Neben der Grundlage für weitere Untersuchungen zur Evolution in urbanen Lebensräumen sieht Santangelo die Relevanz der Studie unter anderem im Naturschutz: „Weißklee ist eine der wichtigsten Pollenquellen für Bienen oder andere Bestäuber in urbanen Regionen. Wenn wir besser verstehen, wie sich das Ökosystem von Städten auf die Pflanzen auswirkt, kann uns das auch dabei helfen, sie zu schützen“, so Santangelo.

Außerdem könne durch die Erkenntnisse des Forschungsteams aber auch generell das urbane Ökosystem und die darin lebenden Menschen besser geschützt werden. „Die Mechanismen, die Evolution vorantreiben, sind fast immer dieselben, egal bei welcher Art“, so der Doktorand. Laut ihm könnten daher aus der Erforschung, wie sich Klee an Städte anpasst, auch Rückschlüsse auf eventuell invasive oder krankheitsübertragende Pflanzen- und Tierarten gezogen werden, sollten sie sich in Städten ausbreiten.