Moostierchen, Bryozoa, Ernst Haeckel
Gemeinfrei
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Genanalyse

Moostierchen brüteten schon im Erdaltertum

Ein Forschungsteam mit österreichischer Beteiligung hat mit modernen Methoden tief in den Stammbaum der Moostierchen geblickt. Dabei stellten sie fest: Die mikroskopisch kleinen Tiere brüteten schon vor bis zu 300 Mio. Jahren ihren Nachwuchs aus.

Genanalyse zeigen, dass einige Arten der vielzelligen, im Wasser lebenden Moostierchen offenbar schon im Perm-Zeitalter vor rund 300 bis 250 Mio. Jahren eine Art Nachwuchspflege in Form von Brüten kultivierten. Die Ergebnisse wurden nun im im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht. Der Tierstamm der Moostierchen, auch Bryozoa genannt, erhalte selbst unter Biologen und Biologinnen nur wenig Aufmerksamkeit – zu Unrecht, wie der an der Publikation beteiligte Leiter der Geowissenschaftlichen Sammlungen der Landes-Kultur GmbH Oberösterreich, Björn Berning, im Gespräch mit der APA sagt.

Interessant seien die über viele Millionen Jahre dokumentierten vielfältigen Tiere einerseits für die Erforschung der Evolution, darüber hinaus seien sie aber auch Hoffnungsträger für pharmazeutische Wirkstoffe. So gibt es beispielsweise schon Krebsmedikamente auf Basis ihrer Stoffwechselprodukte. „Mit ihnen ist unglaublich viel anzufangen“, so Berning.

Millionen Einzeltiere ergänzen einander

Die meisten der bisher Tausenden dokumentierten Arten seien eher unscheinbar und siedeln etwa unter Felsen. Bekannt unter Tauchern ist etwa der „Neptunschleier“ und auch die baumförmig wachsende „Falsche Koralle“. Einige Kolonien im Mittelmeer erreichen mitunter stattliche Höhen von bis zu einem Meter. Solche Strukturen bestehen aus Millionen Einzeltieren, die zwar alle die gleiche Erbinformation tragen, aber völlig unterschiedlich gestaltet sein können.

Moostierchen, Bryozoa, Ernst Haeckel
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Moostierchen aus „Kunstformen der Natur“, Ernst Haeckel (1904)

So erfüllen sie in den Kolonien auch völlig unterschiedliche Aufgaben. Tiere ohne Tentakel werden etwa von anderen miternährt. In manchen Kolonien fungieren Einzeltiere etwa als Borsten, mit denen sich der Superorganismus ganz ohne zentrales Nervensystem fortbewegen kann, erklärte Berning. Es gibt aber auch Einzeltiere, die zur Feindabwehr quasi umgebaut werden.

Acht Jahre lang untersucht

Über acht Jahre hinweg hat das aus Forschern und Forscherinnen aus 17 Ländern bestehende Team unter der Leitung der Universität Oslo mehrere hundert Arten genetisch untersucht und daraus einen neuen entwicklungsgeschichtlichen Stammbaum entwickelt. In welcher Reihenfolge sich die einzelnen Gruppen aufgesplittert haben, könne man nun nachvollziehen und mit den zahlreichen Fossilienfunden vergleichen.

Eine interessante Eigenschaft vieler dieser Tiere ist, dass sie Nachwuchspflege in Brutkammern betreiben, in denen Embryos heranreifen. Dieses Verhalten wurde der neuen Untersuchung zufolge von den Moostierchen im Laufe von hunderten Millionen Jahren gleich mehrfach erfunden. Tatsächlich haben Bryozoen unserer Plazenta ähnliche Strukturen mehrmals unabhängig voneinander entwickelt. Den genetischen Daten zufolge müsste das schon im Perm-Zeitalter passiert sein.

„Explosion der Arten“ in Kreidezeit

Dem Paläontologen Berning stellen sich hier aber ein paar Fragen, denn Fossilienfunde lassen auf diese Innovation erst in der Kreidezeit vor rund 80 Mio. Jahren schließen. „Das müssen wir uns in nächster Zeit also genauer anschauen“, so der Forscher. Gerade in der mittleren Kreidezeit nahm die Anzahl der Arten nämlich deutlich zu. Das erklärt man sich durch die Brutpflege: Während sich nämlich früher die Larven frei und für längere Zeit im Wasser schwebend ernähren mussten, fand dann die Weiterentwicklung der Tiere direkt in der Kolonie statt.

Dementsprechend wurde der genetische Austausch zwischen den Populationen drastisch reduziert, was relativ rasch mehr Arten entstehen ließ. Diese Beschleunigung der Evolution in Form einer „Explosion der Arten“ lässt sich aber erst in der Kreidezeit feststellen. Woher diese Diskrepanz kommt, sei noch offen, so Berning.