Doppelhelix von Erbgut, DNA, Genom
peterschreiber.media – stock.adobe.com
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Humangenom

Menschliches Erbgut komplett entziffert

Vor 20 Jahren ist die „komplette Entzifferung“ des menschlichen Erbguts eine wissenschaftliche Sensation gewesen. Dabei stimmte das nicht ganz, denn rund acht Prozent, vermeintlicher „DNA-Abfall“, blieben damals unberücksichtigt. Forscherinnen und Forscher legten nun eine tatsächlich nahezu vollständige DNA-Landkarte vor.

Insgesamt sechs Studien im Fachjournal „Science“ handeln von dem wissenschaftlichen Durchbruch, mit dem nun auch die Reihenfolge der bisher unerforschten Bausteine des Erbguts untersucht wurde.

Frühere Versuche unvollständig

Schon im Februar 2001 galt das menschliche Genom als „vollständig sequenziert“. Damals veröffentlichten die führenden Wissenschaftszeitschriften „Nature“ und „Science“ die Abfolge der menschlichen Erbsubstanz zum ersten Mal. Einer der Direktoren des deutschen Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik, Eugene Myers, erklärt dazu gegenüber science.ORF.at: „Man hat das Genom so genau untersucht, wie es den Forschern mit der damaligen Technik möglich war – seitdem hat sich die Genauigkeit aber immer weiter verbessert.“

In den ersten Versuchen der Fachleute waren unter anderem Bereiche wie die Enden von Chromosomen, sogenannte Telomere, nicht enthalten. Schon damals sei klar gewesen, dass es Lücken in den Resultaten gibt. Man nahm aber lange Zeit an, dass die unerforschten Bereiche keine wichtigen Funktionen im Erbgut erfüllen – Teile davon sind daher gemeinhin als „Junk-DNA“, also auf Deutsch „Müll-DNS“ bekannt. „Ungefähr acht Prozent des Genoms konnten bis vor Kurzem noch nicht entziffert werden", so Myers. Im aus etwa drei Milliarden Basenpaaren bestehenden menschlichen Erbgut waren demnach knapp 200 Millionen Paare bis dato nicht genau sequenziert.

Kompletteste Sequenzierung bisher

Myers war Teil des internationalen Forscherteams, dem nun die neue Genom-Sequenzierung gelungen ist. Der Bioinformatiker war am Projekt nur in bestimmten Bereichen beteiligt, erklärt aber: „Dem Team ist hier ein großer Durchbruch gelungen. Wir haben nun auch die restlichen acht Prozent des Genoms sequenziert.“

Entwicklung des DNA-Sequenzierung über die Jahre
NHGRI
Entwicklung des DNA-Sequenzierung über die Jahre

Die Fachleute nutzten das Genom einer Blasenmole, zu der es bei einer Störung in der Schwangerschaft kommen kann, als Referenz für das komplette Erbgut des Menschen. „Das hat dem Team erlaubt, das Humangenom genauer im Detail zu erforschen, weil die menschlichen Chromosomen normalerweise immer paarweise vererbt werden – von der Mutter und dem Vater. In einer Blasenmole sind aber nur die Chromosomen eines Elternteils enthalten, die dafür aber gedoppelt", erklärt Myers. Das Entziffern des Erbguts sei so leichter machbar.

Geholfen hat bei der Forschung natürlich auch der technische Fortschritt der letzten Jahre. Das Team konnte aus der Probe extrem lange Sequenzen aus dem Erbgut mithilfe moderner Software untersuchen und die Abfolge der einzelnen Bausteine ermitteln. Das Ergebnis war eine Sequenzierung, in der unter anderem der Aufbau aller Chromosomen, außer dem Y-Chromosom, das in der Probe nicht vorkam, enthalten ist. Von einer 100-prozentigen Genauigkeit könne man im Bereich der Wissenschaft generell nie sprechen, so Myers. Trotzdem ist das Ergebnis der neuen Sequenzierung laut ihm so genau, dass es eigentlich kaum noch Raum für Verbesserungen gibt.

“Junk-DNA" hat Funktion

Dass es sich bei den neu sequenzierten Bereichen um funktionslose „Junk-DNA" handelt, verneint Myers: „Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass auch in diesen acht Prozent eine biologische Funktion steckt, wir wissen aber noch nicht welche.“

Rund 2.000 vermutete Gene konnten die Forscherinnen und Forscher in den bisher unerforschten Bereichen finden. Im gesamten Genpool des Menschen, der bis zu 30.000 Gene enthält, ist das laut Myers zwar nur ein relativ kleiner Teil, dennoch dürfe er nicht außer Acht gelassen werden. Genauere Untersuchungen seien aber nötig, um die biologische Funktion der vermuteten Gene zu bestimmen.

Buchstabenabfolge der DNA
Ernesto del Aguila III, NHGRI

Laut Myers gibt es auch immer mehr Hinweise darauf, dass die bisher als „Junk-DNA" bekannten Bereiche des Erbguts eine Rolle bei der Entwicklung bestimmter Krankheiten spielen. „Es ist nicht nur für die Wissenschaft schwer, die Bausteine dieser Bereiche exakt anzuordnen, sondern auch für die Natur, dort eventuelle Mutationen zu reparieren", so Myers. Beispiele entsprechender Krankheiten sind etwa verschiedene Krebsarten oder das Fragile-X-Syndrom, das unter anderem zu schweren kognitiven Beeinträchtigungen führen kann.

Genaue Sequenzierung für Individuen

Eines der großen Ziele in dem Bereich ist laut dem Bioinformatiker, das Erbgut einzelner Individuuen genau sequenzieren zu können. Myers: „Das Ergebnis unserer Sequenzierung ebnet den Weg, dass Forscher künftig die Genomabfolge einer Person in zwei unterschiedlichen Strängen – der Mutter und des Vaters – exakt bestimmen können.“

Dafür seien aber noch weitere Untersuchungen nötig und auch der technische Fortschritt müsse vorangetrieben werden. Die aktuelle Sequenzierung des Genoms habe etwa mehrere zehntausend US-Dollar gekostet. Um sie für einzelne Individuen in der Praxis verfügbar zu machen, müsse der Preis drastisch fallen. Was nach hohen Kosten klingt, sei aber vergleichsweise harmlos, so Myers: „Das Humangenom-Projekt um das Jahr 2000 hat insgesamt circa drei Milliarden US-Dollar gekostet.“

Generell könne die Forschung mit den neuen Erkenntnissen künftig einige Krebsarten und andere Krankheiten besser untersuchen. Auch Genom-Sequenzierungen von bisher unerforschten Tierarten seien, aufbauend auf die neuen Erkenntnisse und mit moderner Technologie, möglich.

Weiter Warten auf personalisierte Medizin

In weiterer Folge seien auch tatsächliche Fortschritte in bereits oft angekündigten Bereichen wie der personalisierten Medizin denkbar, so Myers. Die nun praktisch komplette Sequenzierung des Humangenoms sei aber erst einer von vielen Schritten dorthin. Der Bioinformatiker ist sich jedoch sicher: „In den kommenden Jahren wird hier einiges geschehen.“ Er gratuliert seinen Kolleginnen und Kollegen, allen voran den Hauptautoren der Studie um die neue Sequenzierung, Sergey Nurk und Adam Phillippy, zum wissenschaftlichen Meilenstein.