Eine Schülerin sitzt im Klassenzimmer vor einem Laptop
David Fuentes – stock.adobe.com
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Pandemie

Digitale Bildung: Musterschüler Schweden

Schweden ist bei der Bekämpfung der Pandemie einen eigenen Weg gegangen: Schulen für Jüngere etwa blieben meist geöffnet, ältere Schüler und Schülerinnen waren schon zuvor gut mit Laptops und Co. vom Staat ausgestattet. Schweden gilt bei digitaler Bildung als Musterschüler. Dennoch ist auch hier nicht alles glatt verlaufen.

Kommt man dieser Tage nach Schweden, fallen zwei Dinge sofort auf. Zum einen ist das Coronavirus kaum mehr Thema, Maske trägt hier so gut wie niemand – zuletzt wurde das Pandemiegesetz abgeschafft. Zum anderen wird hier fast nur noch bargeldlos gezahlt, selbst bei der Kaffee- oder Blumenverkäuferin.

Das Land ist hoch digitalisiert. Das zeigt sich nicht nur beim Plastikgeld, sondern auch bei der Personennummer und Identitätskarte, die jede Bewohnerin und jeder Bewohner erhält, um damit Arzt- oder Behördenwege zu erledigen. Dementsprechend liegt das Land in Digitalisierungs-Rankings regelmäßig weit vorne. Im aktuellen Desi-Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft der OECD reicht es knapp hinter den nordischen Nachbarn Dänemark und Finnland für Platz drei, Österreich liegt unter den EU-27 auf Rang zehn.

Fast jedes Kind hat Tablet oder Computer

Schweden ist auch ein Land, in dem die Gedanken von Wettbewerb und Allgemeinwohl sehr verschränkt sind. Durchaus ambitioniert war etwas das Ziel einer nationalen Strategie 2017, „Weltbeste in digitaler Bildung“ zu werden. Konkret hieß das etwa, dass alle Schulkinder mit einem Tablet oder Computer ausgestattet werden und Hi-Speed-Internet großflächig verfügbar ist. „Größtenteils ist das mittlerweile gelungen“, sagt Pernilla Nilsson, Generalsekretärin für Erziehungswissenschaften im schwedischen Forschungsrat gegenüber science.ORF.at. Nur in Nordschweden oder anderen ökonomisch schwächeren Region noch nicht ganz, so die Expertin, die auch an der nationalen Strategie mitgeschrieben hat.

Bildungswissenschaftlerin Pernilla Nilsson
Lukas Wieselberg, ORF
Pernilla Nilsson

Kulturwechsel beschleunigt

Als das Coronavirus kam, war das Schulsystem also technologisch schon bereit für Distance Learning. Im großen Stil notwendig war das nur für die Oberstufen, wo die Klassenzimmer in den Hochphasen der Pandemie wie in Österreich geschlossen wurden. Kindergärten, Volksschulen und Unterstufen blieben hingegen fast durchgängig im Präsenzbetrieb – außer die Lehrerinnen und Lehrer oder ein Großteil der Schüler erkrankten.

Eine größere Herausforderung als die Infrastruktur sei jedenfalls die Lehrerausbildung gewesen, sagt Bildungswissenschaftlerin Nilsson. „Eine professionelle Entwicklung und ein Kulturwechsel unter den Lehrerinnen und Lehrern war schon Bestandteil der nationalen Strategie. Die Pandemie hat das vielleicht beschleunigt.“

Neugier am wichtigsten

Am wichtigsten in diesem Kulturwechsel seien Neugier – der Wunsch, etwas Neues ausprobieren zu wollen – und Vertrauen, betont die Expertin: „Lehrerinnen und Lehrer, die Vertrauen in ihre Entscheidung haben, Technologien im Unterricht einzusetzen – oder auch nicht.“ Digitale Werkzeuge, um ihrer selbst willen zu verwenden, sei sinnlos. Die Lehrer und Lehrerinnen sollten selbst entscheiden, wie sie ihre pädagogischen Ziele erreichen wollen – ob digital oder traditionell.

Verschiedene Fächer bräuchten auch verschiedene Ansätze. „In Fächern wie Chemie oder Physik wollen Schülerinnen und Schüler Experimente sehen oder selbst durchführen, und da stoßen Simulationen und Visualisierungen an ihre Grenzen.“ Ziel der Lehramtsstudiums sollte es sein, Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, die Vertrauen in den Einsatz digitaler Technologien haben.

Eine Lehrerin sitzt vor zwei Computer-Bildschirmen und spricht in einer Online-Veranstaltung
AFP – OLIVIER DOULIERY

Neben Infrastruktur und Ausbildung ebenso eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung der Bildung: Support. In Schweden gibt es deshalb laut Nilsson an den Schulen eigenes Lehrpersonal, das Kolleginnen und Kollegen in Digitalfragen unterstützt. In der Pandemie kam noch einiges „Handgestricktes“ dazu – etwa selbst organisierte Facebook-Gruppen, in denen sich die über Nacht zu Online-Lehrern Gewordenen austauschten.

“Möglichkeiten und Risiken verstehen“

„Wir können Digitalisierung nicht vermeiden, sie ist Teil unserer Gesellschaft. Schon Kinder mit ein oder zwei Jahren verwenden Tablets und Handys – und das sind die zukünftigen Schüler und Schülerinnen“, sagt Nilsson. Deshalb sei es so wichtig, dass digitale Bildung Bestandteil der Lehrerausbildung ist.

Der Autor war Teilnehmer einer Delegationsreise nach Stockholm, finanziert vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung.

Das selbstgesteckte Ziel für die Schulen: Die Kinder sollen ein verantwortungsvolles und kritisches Verhältnis zu digitaler Technologie entwickeln – „ihre Möglichkeiten, aber auch ihre Risiken verstehen und Informationen bewerten können“. So lautete ein Grundsatz, der bereits in der Strategie von 2017 für das Vorschulalter definiert wurde.

Schülerinnen und Schülern geht es schlechter

Dennoch ist laut Expertin Pernilla Nilsson auch in Schweden nicht alles rosig. Die größte Herausforderung im Distance Learning der Pandemie sei die Leistungsüberprüfung gewesen, in kurzer Zeit also digitale Test- und Schularbeitsformate zu entwickeln. Und: Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler hätten sich in der Pandemie zwar kaum verändert. Wie in vielen anderen Ländern habe sich ihr Wohlbefinden aber deutlich verringert. „Um gut zu lernen, muss man sich wohlfühlen“, sagt Nilsson. Die Pandemiejahre seien für die Schulen zwar keine „verlorenen“ gewesen, aber es gelte einiges aufzuholen.