Pilotfabrik von Hybrit, die in Lulea, Nordschweden, grünen Stahl herstellen will
AFP – JONATHAN NACKSTRAND
AFP – JONATHAN NACKSTRAND
Nachhaltigkeit

Luxusproblem: 100.000 neue Arbeitsplätze

Bis zu 100.000 neue Arbeitsplätze im nächsten Jahrzehnt, der größte Teil davon grüne, klimaneutrale Jobs: Dieses Luxusproblem hat Nordschweden, eine lange Zeit ökonomisch benachteiligte Region. Damit der neue Boom aber wirklich nachhaltig sein wird, gilt es jetzt schon, eine Reihe von Fragen zu beantworten – von Energiegewinnung bis zum Wohnbau.

Riesige Waldflächen, oft noch unberührte Natur, geringe Bevölkerungsdichte: Das zeichnet Norrland aus, den Norden Schwedens rund um den Polarkreis. Dementsprechend ist die Ökonomie; Forstwirtschaft, Wasserkraft und Bergbau dominieren, die Region ist reich an Bodenschätzen, die schon für die Industrialisierung Schwedens wichtig waren.

Dennoch galt Norrland lange als ökonomisches Sorgenkind Schwedens, hier lagen die Arbeitslosenzahlen über und die Einkommen unter dem nationalen Schnitt, die Bevölkerungszahl sank stetig, vor allem Jüngere zog es Richtung Süden des Landes. Dem wirkt zwar ein Boom im Bergbau seit rund 20 Jahren entgegen, wirtschaftlich so richtig nach oben geht es aber erst seit Kurzem.

Ökonomie und Ökologie

„In den nächsten Jahren ist in der Region mit 50.000 bis 100.000 neuen Arbeitsplätzen zu rechnen“, sagt Anna Hult, Leiterin der Abteilung für Raumplanung am schwedischen Forschungsrat für nachhaltige Entwicklung (Formas). Zum Vergleich: Skelleftea, eine der größten Städte Nordschwedens, hat 35.000 Einwohner, in etwa so viele wie Feldkirch oder Steyr.

Die fast dreimal so vielen neuen Arbeitsplätze sollen nicht nur ökonomisch wertvoll sein, sondern auch ökologisch. Formas fördert entsprechende Forschungsprojekte, die die Entwicklung nachhaltig und klimafreundlich machen sollen – entsprechend dem Ziel, in der schwedischen Wirtschaft bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Die Ambitionen sind groß, sollen doch Häfen und Bahnlinien in Nordschweden ausgebaut, insgesamt in den nächsten Jahren an die 110 Milliarden Euro investiert werden.

Kühlung im Serverfarm von Facebook in Lulea, Nordschweden, die im Juni 2012 eröffnet wurde
AFP – SUSANNE LINDHOLM
Kühlung in der Serverfarm von Facebook in Lulea, Nordschweden, die im Juni 2012 eröffnet wurde

Grüne Batterien und grüner Stahl

Woher das plötzliche Interesse der Wirtschaft an der Region? Die Antworten sind vielfältig. Grund und Boden sind billig, für die Unternehmen ein gewichtiges Argument. Dazu kommen Natur und Klima. Schon vor Jahren haben Google und Meta bzw. Facebook einige ihrer riesigen Serverfarmen in Nordschweden installiert – die niedrigen Temperaturen erleichtern die Kühlung der Computer, außerdem gibt es reichlich Strom aus Wasserkraft.

Letzteres ist auch ein Argument für die schwedische Energiefirma Northvolt, die in Skelleftea eine große Batteriefabrik gebaut hat – und laut Eigenaussage ihre Produktionsstätten dort baut, wo grüne Energie gewonnen wird. Ähnlich gelagert sind die Projekte Hybrit und H2 Green Steel, die in Nordschweden „grünen Stahl“ herstellen wollen – bei der energieintensiven Produktion also ohne fossile Energieträger auskommen wollen.

Gegen reine Arbeitsmigration

Die Unternehmen machen sich also offenbar verstärkt um Klima und Umwelt Gedanken, in Sachen Gesellschaft und Raumplanung ist das nicht unbedingt der Fall. Wie die 50.000 bis 100.000 neuen Arbeiterinnen und Arbeiter leben, wie sie wohnen und welche Kindergärten und Schulen ihre Kinder besuchen, steht auf einem anderen Blatt Papier. Und das versucht u. a. Formas, die schwedische Förderagentur für nachhaltige Entwicklung, zu beschreiben.

Verhindert werden solle eine reine Arbeitsmigration –, „dass etwa Arbeiter für zwei Jahre aus Asien oder anderen Teilen der Welt kommen, in kleinen Wohnblöcken wohnen und dann wieder das Land verlassen“, betont die Formas-Raumplanerin Anna Hult. Gesucht sei eben eine nachhaltige Entwicklung, und dazu gehören nicht nur Umwelt und Klima, sondern auch gesellschaftliche Infrastruktur.

Batteriefabrik Northvolt in Skellefteå
APA/AFP/NORTHVOLT/Handout
Batteriefabrik Northvolt in Skelleftea

Suche nach nachhaltigem Wohnbau

Formas fördert mit einem Volumen von rund 180 Millionen Euro pro Jahr Forschung in all diesen Bereichen, von Geistes- und Sozialwissenschaften bis zu Technik und Naturwissenschaft – und zwar Grundlagen- wie auch angewandte Forschung. „Ein Vorteil gegenüber anderen Institutionen ist, dass wir thematisch fördern – und wir versuchen alle Disziplinen zusammenkommen zu lassen, um komplexe Fragen zu lösen“, so Hult. Ein aktuelles Beispiel, das demnächst via Call ausgeschrieben wird: Wie lassen sich für 100.000 Menschen in relativ kurzer Zeit Wohnungen bauen, die leistbar und nachhaltig sind?

Der Autor war Teilnehmer einer Delegationsreise nach Stockholm, finanziert vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung.

Der Rohstoff Holz wird dabei mit Sicherheit eine wichtige Rolle spielen, in Skelleftea steht schon jetzt ein 75 Meter hohes und 20 Stockwerke umfassendes Hochhaus aus Holz – eines der größten seiner Art weltweit.

Entwicklung geht also nie ohne Konflikt ab. Das betrifft auch die bereits errichteten und künftig geplanten Fabriken, Wasser- und Windkraftwerke. Hier kommt es immer wieder zu Konflikten mit der ansässigen Bevölkerung, dem Volk der Samen. Auch Tier- und Naturschutz seien zu bedenken, in der Region lebt etwa ein Großteil der schwedischen Rentiere. „Formas fördert Studien zu all diesen Aspekten nachhaltiger Entwicklung“, sagt Hult – etwa anthropologische, die die Wünsche und Interessen der Sami erforschen, agrarwissenschaftliche und technologische. Ob sie die rasche Transformation Nordschwedens tatsächlich positiv beeinflussen können, wird man in ein paar Jahren sehen.