Ein Mann mit einem Kind auf dem Arm und einem an der Hand wirft einen Schatten auf eine mit bunten Handabdrücken bemalte Wand.
APA/dpa/Peter Kneffel
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Village Projekt

Hilfe für Kinder in psychisch belasteten Familien

Mama oder Papa ist psychisch krank – mehr als eine Viertelmillion Kinder in Österreich lebt in einer solchen Situation. Später ist ihr Risiko deutlich erhöht, selbst gesundheitliche Probleme oder Störungen zu entwickeln. Wie man die Belastungen für die Kinder mildern kann, zeigt ein aktuelles Projekt in Tirol.

Von der Mama geweckt werden, ein warmes Essen bekommen, oder Hilfe bei den Hausaufgaben – für viele Kinder ist das nicht normal. Denn wenn ein Elternteil an einer psychischen Erkrankung leidet, müssen die Kinder selbst oft sehr früh erwachsen werden, sagt Ingrid Zechmeister-Koss, Leiterin des Bereichs Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung am Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) in Wien. Die Kinder müssen dann Aufgaben übernehmen, für die sie eigentlich nicht zuständig sind: etwa die Betreuung von Geschwistern, die Alarmierung der Rettung, wenn eine akute Krise auftritt, oder sie kümmern sich sogar um die finanziellen Belange im Haushalt, sagt Zechmeister-Koss.

Gefangen im Kreislauf der Überlastung

Auch emotional sind diese Kinder oft belastet: Sie glauben manchmal, dass sie selbst schuld sind am Verhalten ihrer Eltern – sie haben Angst, dass jemand ihre Probleme entdeckt, trauen sich nicht, andere Kinder einzuladen, manchmal werden sie gemobbt. Und all das führe bei vielen Kindern – nicht bei allen – dazu, dass sie selbst wiederum ein erhöhtes Risiko dafür haben, später Probleme zu bekommen. Manche machen keine Berufsausbildung, rutschen ab, einige werden selbst krank.

Netzwerk unterstützt Familien

Doch das muss nicht passieren. Einige Faktoren können die schwierige Situation deutlich abmildern, sagt Jean Paul, Leiterin des Village-Projekts der Ludwig Boltzmann-Gesellschaft, das gemeinsam mit der Medizinischen Universität Innsbruck aufgesetzt wurde. „Wir haben versucht, ein unterstützendes Netzwerk aufzubauen, basierend auf der Frage, was Kinder und Eltern gerade brauchen. Manchmal bedeutet das, dass jemand ins Haus kommt und Zeit mit der Familie verbringt. Das hat die Eltern emotional unterstützt, es konnte aber auch eine ganz praktische Hilfe sein – etwa den Kinder bei den Hausübungen zu helfen oder mit ihnen zu spielen“, so die Wissenschaftlerin.

Das habe oft eine enorme Entlastung für Mutter oder Vater bedeutet, sagt Jean Paul. In anderen Familien gab es psychologische Unterstützung: Die Krankheit wurde thematisiert – oft zum ersten Mal -, und das hat vielen wiederum dabei geholfen, Strategien zu entwickeln, um besser damit umzugehen: „Ungefähr so: Wenn Mama sich so fühlt – dann gehe ich selbst aus dem Zimmer hinaus, und es ist nicht meine Schuld, ich hab nichts falsch gemacht“, schildert Jean Koss einen möglichen Umgang von Kindern mit einer schwierigen Situation.

Wieder Kind sein können

Insgesamt dreißig Familien haben an dem Projekt teilgenommen, in den meisten Fällen habe sich die Situation deutlich verbessert, das zeigen die ersten Rohauswertungen des Projekts, das wissenschaftlich begleitet wurde. Allein das Wissen über die Erkrankung bewirke schon viel, so die Forscherinnen. Auch der Alltag der Kinder habe sich verändert: So mussten sie oft weniger Verantwortung im Haushalt übernehmen als zuvor. Damit war ein ganz wesentliches Ziel des Projekts erreicht: den Betroffenen zu ermöglichen, wieder einfach Kind sein zu können.

Investition in die Zukunft

Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht macht es Sinn, den betroffenen Familien früh zu helfen: Denn belastete Kinder entwickeln später häufiger gesundheitliche Probleme und benötigen bisweilen selbst soziale Unterstützung. Bietet man rechtzeitig Hilfe an, könne man diese Folgen abmildern oder sogar verhindern, so die Forscherinnen. Sie suchen weitere finanzielle Unterstützung für das Village Projekt: Denn frühe Hilfen sparen später enorme Folgekosten, sagt Ingrid Zechmeister-Koss. Ein Netzwerk für die Familien aufzubauen hilft nicht nur den Familien selbst, sondern der gesamten Gesellschaft.