Mann hamstert Klopapier und Küchenrollen
APA/dpa/Rene Traut
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Sozialpsychologie

Warum der Mensch zum „Hamster“ wird

Nach Jahrzehnten des Überflusses wurde in der jüngeren Vergangenheit wieder vermehrt gehamstert, besonders absurd wirkte das Horten von Klopapier zu Beginn der CoV-Pandemie. Zwei Forscher erklären, warum Krisen zum Hamstern verleiten, was Menschen zu Egoisten werden lässt und was man aus der Geschichte des Hamsterns lernen kann.

Im 19. Jahrhundert taucht der Begriff des Hamsterns erstmals im Zusammenhang mit dem Menschen auf, erklärt der Historiker Ernst Langthaler von der Johannes Kepler Universität Linz. Volkswirtschaftler beschrieben damit den Homo Oeconomicus, der vernünftig vorsorgt. Kritiker des Kapitalismus setzen den „Hamsterer“ aber bald in ein negatives Licht: „Der Hamsterer, der Reichtümer anhäuft und damit für Ungleichheit in der Gesellschaft sorgt, wurde zum gemeinsamen Feindbild der linken und der rechten Kapitalismuskritiker“, erklärt Ernst Langthaler.

Während der Weltkriege kam es vor allem in den Städten zu extremen Hungersnöten, und das Hamstern wurde zu einer Überlebensstrategie. Lebensmittel wurden auf dem Schwarzmarkt besorgt, weil sie nicht zu kaufen waren und weil die Lebensmittelmarken oft nicht ausreichten. Beim Hamstern ging es hier aber nicht darum, große Vorräte anzuhäufen, sondern schlicht darum, satt zu werden. Ein Unterschied also zum heutigen Hamstern im Überfluss.

Politik des Hamsterns

Die Nationalsozialisten versuchten zunächst gegenzusteuern. Sie entwarfen Plakate, auf denen Menschen mit Hamstergesicht zu sehen waren, diese wurden als Schädlinge an der Volksgemeinschaft gebrandmarkt. „Das hat aber nicht verhindert, dass auch im Zweiten Weltkrieg Hamstern ein Massenphänomen war“, so Ernst Langthaler.

Einige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann eine Zeit des Überflusses, in der man alles kaufen konnte, was das Herz begehrt. Während des Kalten Kriegs versuchte der Staat allerdings, die Menschen zum Hamstern zu motivieren. Man sollte sich Vorräte für den Fall eines Atomkriegs anlegen. Doch im Wohlstand mochte kaum jemand hamstern.

Aktion Eichhörnchen

In Deutschland versuchte es die Regierung in den 1960er Jahren mit der Aktion Eichhörnchen, die mit großem Werbeaufwand propagiert wurde. Man wollte die Menschen animieren, Vorräte in den Schutzräumen anzulegen. „Das wurde aber nicht in wirklich großem Umfang befolgt“, so Ernst Langthaler.

Doch dann passierte die Atomkatastrophe von Tschernobyl und löste eine Trockenmilch-Hamsterwelle aus. Das war allerdings nicht im Sinne der Regierung, diese versuchte an die Bevölkerung zu appellieren, genau das nicht zu tun. Auch die Unternehmen klärten darüber auf, dass genügend vorhanden sei. „Das konnte aber die Menschen nicht abhalten, große Vorräte anzulegen, mit dem Ergebnis, dass es dann tatsächlich zu Engpässen in der Versorgung kam“, so Langthaler.

Tief sitzendes Bedürfnis

Der Staat habe kaum Macht, das Hamstern zu steuern, das habe die Geschichte immer wieder gezeigt, so Ernst Langthaler. Der Grund dafür könnten Mechanismen aus der Steinzeit sein, aber auch ein speziell menschliches Dilemma, meint der Sozialpsychologe Jan Häusser von der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Hamstern sei egoistisch, aber nicht unbedingt eine negative Eigenschaft. „Es ist nachvollziehbar, dass Menschen einen Selbsterhaltungstrieb haben. In der Steinzeit war das sehr hilfreich, wenn sich eine Krise abzeichnete, sich Ressourcen und Vorräte anzulegen. Aber dass sich das jetzt in dem vermehrten Kauf von Klopapier und Sonnenblumenöl ausdrückt, ist eine sinnlose Überreaktion.“

Ungewisse Zukunft macht Angst

Der Grund fürs Hamstern liegt auch darin, dass Menschen überhaupt in die Zukunft blicken können und sich Gedanken über den Tag hinaus machen. Die Zukunftsszenarien vieler Menschen sind allerdings momentan etwas düster, wegen des Kriegs, der Pandemie oder auch der Klimakrise.

Wenn Menschen Unsicherheit und Kontrollverlust erleben, nehmen sie das als Bedrohung war. Sie versuchen, Stabilität und Kontrolle aufzubauen. Im Fachjargon nennt man das Theorie der Ressourcenerhaltung. Hamstern ist eine solche Strategie, meint Jan Häusser.

Gemischte Motive

Andererseits sind Menschen auch extrem soziale Wesen. Sie stehen daher oft in einer sogenannten „Mixed-Motive-Situation“: Das bedeutet, dass man zwei Motive hat, die sich nicht vertragen. „Das eine ist das egoistische Motiv – ich muss schauen, dass ich meine Schäfchen ins Trockene bringe, dass ich meine Ressourcen zusammenhalte. Gleichzeitig will ich natürlich, dass wir gemeinsam aus dieser Krise herauskommen“, erklärt Jan Häusser.

Leere Supermarktregale zu Beginn der Pandemie
APA/dpa/Kay Nietfeld
Hamstern erzeugt Mangel

Vor dem Supermarktregal streiten sich dann Engelchen und Teufelchen im Kopf. Fatal sei, dass die Menschen nur zusammen überleben können und es oft nicht schaffen, danach zu handeln.

Beispiel Klimawandel

Häusser führt den Klimawandel als weiteres Beispiel für eine „Mixed-Motive-Situation“ an. „Das müsste doch eine kooperative Gesamtanstrengung der Menschheit sein. Gleichzeitig hat man als individueller Staat, individuelles Unternehmen, individuelle Personen, aber natürlich auch kein Interesse daran, sich einzuschränken oder Kosten auf sich zu nehmen“, so Jan Häusser.

Das wiederum führt zur sogenannten Tragik der Allmende: Wenn Fischer an einem Teich angeln und jeder nur begrenzt fischt, kann die Ressource nachwachsen und die Ernährung ist langfristig gesichert. Fischen alle so viel wie möglich, ist der Teich bald unwiederbringlich leer.

Soziale Norm

Hamstern führt also nicht nur zu einer künstlich erzeugten Verknappung, es folgt auch einer absurden Dynamik: Wenn ein Mensch im Supermarkt hamstert, beginnen die anderen auch damit, denn sie müssen davon ausgehen, dass diese Ware bald knapp wird. Aus einer irrationalen Aktion wird ein rationales Verhalten.

Jan Häusser beschreibt, welche Rolle die sogenannte deskriptive soziale Norm bei dieser Dynamik spielt: „Ich erlebe im Supermarkt: Hier scheint die Norm zu sein, dass es wichtig ist, bestimmte Güter zu haben“. Da Menschen sich in Krisensituationen oft an anderen Menschen orientieren, ist die deskriptive soziale Norm beim Hamstern oft ausschlaggebend.

Was zu Egoismus führt

Andersherum funktioniere das aber auch, so Jan Häusser. Experimente aus der Verhaltensökonomie zeigten, dass das Vertrauen darin, dass andere sich kooperativ verhalten, ausschlaggebend dafür ist, wie sozial und kooperativ man sich selbst verhalte. „In dem Moment, wo ich erwarte, dass andere eine Situation ausnutzen werden, dass die mehr nehmen, als ihnen zusteht, bin ich sehr geneigt, das ebenfalls zu tun“.

Ein aktuelles Beispiel für solche kooperativen Vorbilder seien die ukrainischen Politiker Vitaly Klitschko oder Wolodymyr Selenskyi, die sich leicht hätten aus dem Staub machen können. „Die setzen eine komplett andere Norm, nämlich: Ich verzichte oder ich stelle meine egoistischen, selbst erhaltenden Motive zurück zugunsten der Allgemeinheit“, so Häusser.

Dazu stärke auch die Bedrohung von außen den Zusammenhalt einer sozialen Gruppe. Ist die deskriptive soziale Norm erst einmal in falsche Richtung, nämlich ins egoistische Hamstern, umgeschlagen, sei der Staat weitgehend machtlos. Das einzig Wirksame seien dann Sanktionen gegen egoistisches Verhalten oder Beschränkungen bei der Abgabe von Lebensmitteln.