Frau liegt mit offenen Augen im Bett
Getty Images/EyeEm/Dmitry Marchenko
Getty Images/EyeEm/Dmitry Marchenko
Personalisierte Medizin

Gentest soll bei Depressionen helfen

Nicht erst seit der Coronavirus-Pandemie sind Depressionen weit verbreitet. Die Behandlung mit Antidepressiva lässt oft zu wünschen übrig, nur wenige Betroffene sprechen sofort auf die verabreichten Medikamente an. Ein Gentest soll den Therapieerfolg verbessern.

Die personalisierte Medizin – die Suche nach dem geeigneten Medikament für jedes einzelne Individuum – ist eines der großen Ziele in der Medizin. Die beiden Bereiche, in denen man sich derzeit besonders große Fortschritte durch die speziell auf die Patientinnen und Patienten abgestimmten Arzneien erhofft, sind die Onkologie (Krebsforschung) und die Psychiatrie.

„Während in der Onkologie schon einige Fortschritte gemacht wurden, hängt die Psychiatrie noch rund 20 Jahre hinten nach“, erklärt Benedikt von Braunmühl gegenüber science.ORF.at. Er ist Geschäftsführer des deutschen Unternehmens HMNC-Brain Health, das zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie den Therapieerfolg bei Depressionen verbessern möchte.

Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva

Das Thema Depression dürfe auf jeden Fall nicht unter den Teppich gekehrt werden, so der Unternehmer. Er spricht von einer „unterschätzten Volkskrankheit“, die gerade auch durch die anhaltende Pandemie noch stärker verbreitet ist als in der Vergangenheit. Auch immer mehr Studien zeugen von den negativen Folgen der Pandemie auf die Psyche.

Der Verdacht auf Depression liegt dann nahe, wenn Personen mehr als zwei Wochen lang bedrückt und niedergeschlagen, antriebslos und müde sind, über Schlaf- und Appetitstörungen klagen sowie von negativen Gedanken und allgemeiner Traurigkeit gequält werden. Dabei gilt: Je früher sich Betroffene Hilfe bei einer Fachärztin oder einem Psychotherapeuten suchen, desto größer ist ihre Aussicht auf einen Therapieerfolg. Grundsätzlich hat sich bei Depressionen in den letzten Jahren eine Kombination aus Psychotherapie und der Behandlung mit Antidepressiva bewährt.

Die Suche nach dem passenden Medikament

Die geeigneten Antidepressiva zu finden, ist aber alles andere als einfach. Ihre Wirkung hängt neben den Inhaltsstoffen und der verabreichten Dosis auch vom Stoffwechsel und der Genetik der Betroffenen ab. „Nur ungefähr 30 Prozent der Patienten sprechen bei der ersten Behandlung mit Standard-Antidepressiva überhaupt auf das Medikament an“, erklärt von Braunmühl. Bei 70 Prozent ergebe sich demnach vorerst kein Therapieerfolg.

Laut von Braunmühl gab es in den letzten 30 Jahren kaum Innovationen in der Behandlung von Depression. Patienten, die nicht gleich auf die verabreichten Antidepressiva ansprechen, seien immer noch darauf angewiesen, verschiedene Medikamente auszuprobieren. „Das kann oft mehrere Wochen dauern und in dieser Zeit haben die Patienten natürlich mit den unterschiedlichen Nebenwirkungen der Arzneien zu kämpfen.“

Gentest für besseren Therapieerfolg

Von Braunmühl bezeichnet sein Unternehmen als „einen der großen Vorreiter“ auf dem Gebiet der personalisierten Medizin in der Psychiatrie. Zurückzuführen sei das auf die Forschungsarbeit eines Mitgründers von HMNC-Brain Health, den Arzt und Wissenschaftler Florian Holsboer. Dieser war lange Zeit in der Forschung tätig und erkannte schon früh, dass der Therapieerfolg mit Antidepressiva unter anderem von der Blut-Hirn-Schranke der jeweiligen Patienten abhängt. Diese nimmt eine wichtige Schutzfunktion wahr, indem sie wie eine Barriere verhindert, dass schädliche Substanzen, Krankheitserreger oder Gifte zum Gehirn vordringen können. Gleichzeitig lässt sie in manchen Fällen aber auch Arzneimittel nicht durch, die für einen Therapieerfolg ausschlaggebend wären.

Der Test von HMNC-Brain Health und des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie analysiert Genvarianten, die die Blut-Hirn-Schranke beeinflussen und so den Übergang von Antidepressiva ins Gehirn entweder einschränken oder erleichtern können. Schon mit einer einzigen Blut- oder Speichelprobe kann der sogenannte ABCB1-Test den behandelnden Ärzten Empfehlungen geben, welche Wirkstoffe wirksam wären und wie groß die Dosis sein soll. Wie die Entwickler betonen, kann der ABCB1-Test einmalig durchgeführt werden, sein Ergebnis soll aber lebenslang gültig sein.

In Österreich noch nicht zugelassen

Zugelassen ist der ABCB1-Test bis jetzt nur in ein paar wenigen europäischen Ländern – Österreich ist nicht darunter – wie Deutschland und Frankreich und nur in der Schweiz wird er zum Teil von den Krankenkassen bezahlt. Noch sei es also ein weiter Weg, bis der Gentest großflächig und kostengünstig angeboten wird. Von Braunmühl zeigt sich aber optimistisch, dass in der personalisierten Medizin künftig einige Fortschritte und neue Testverfahren für die Behandlung von Depression aufkommen. Derzeit würden mehrere Labore und Unternehmen an neuen Tests arbeiten. Im Gegensatz zu dem ABCB1-Gentest untersuchen diese aber nicht die Blut-Hirn-Schranke, sondern eher wie die Antidepressiva im Körper verstoffwechselt werden.

Eines sei laut dem Unternehmer klar: „Je mehr hier gefördert wird, je mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für das Thema herrscht, desto eher kommt es zu einem positiven Schneeballsystem mit mehr Innovationen.“ Von Braunmühl ist sich sicher, dass den Patientinnen und Patienten durch die anstehenden Fortschritte im Bereich der Psychiatrie künftig immer effektiver geholfen werden kann.