Waage, BMI, Gewicht
Rostislav Sedlacek – stock.adobe
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Gesundheit im Alter

Das Problem mit dem „Übergewichts-Paradoxon“

Übergewicht kann krank machen und damit die Lebenszeit erheblich verkürzen. Eine chinesische Studie zeigt nun aber: Im Alter kann ein höherer Body Mass Index (BMI) von Vorteil sein. Es ist nicht die erste Studie mit einem solch paradoxen Ergebnis – Experten und Expertinnen warnen dennoch vor falschen Schlüssen.

Gewicht in Kilogramm dividiert durch die Größe in Meter zum Quadrat. Mit dieser einfachen Formel berechnet man den Body-Mass-Index (BMI). Liegt der Wert über 25 gilt man als übergewichtig, ab 30 als fettleibig. Alles unter 18,5 deutet auf Untergewicht hin. Chinesische Forscherinnen und Forscher haben sich nun den BMI von rund 27.000 Chinesinnen und Chinesen älter als 80 Jahre angesehen. Zwischen 1998 und 2018 wurde bei ihnen immer wieder die Körpergröße und das Gewicht in Relation gesetzt und der Taillenumfang gemessen.

In einer im Fachjournal „Nature Aging“ veröffentlichten Analyse kommt das Forschungsteam nun zu dem Schluss: Jene, die einen höheren Wert im Bereich zwischen 26 und 30,6 hatten, lebten länger. Es ist nicht das erste Mal, dass Forscherinnen und Forscher diesen paradoxen Zusammenhang zwischen Übergewicht und einem niedrigeren Sterberisiko zeigen.

Hoher BMI ist nicht gleich gesund

Trotzdem lasse sich aus keiner dieser Studien schließen, Übergewicht oder gar Fettleibigkeit im Alter sei gesund, betont die Medizinerin Susanne Kaser von der Medizinischen Universität Innsbruck. Das liege einerseits am BMI selbst: „Mit dem Body-Mass-Index kann man den Ernährungszustand abschätzen – mehr als eine Schätzung ist es aber nicht. Es sagt nichts darüber aus, wie viel Muskel- oder Fettmasse ich habe und wie es mit dem Flüssigkeitshaushalt aussieht.“

Jemand mit vielen Muskeln und wenig Fett könne den gleichen BMI haben wie jemand mit einem hohen Fettanteil und wenig Muskelmasse. Das Verhältnis sei aber für die Gesundheit entscheidend – gerade im Alter, so Kaser: „Aus Studien wissen wir, dass eine verminderte Muskelmasse die Sterblichkeit erhöht.“

„Henne-Ei-Problem“

Zwar weisen Studien wie jene aus China auf einen Zusammenhang zwischen BMI und Sterblichkeit hin – ob ein erhöhter BMI auch der Grund für ein längeres Leben ist, lässt sich daraus nicht ableiten. Es sei ein Henne-Ei-Problem, sagt Kaser. „Ich habe beispielsweise oft Patientinnen und Patienten, die eine zugrundeliegende Erkrankung haben und dadurch stark an Gewicht verlieren. Damit kann ich dann aber nicht sagen, Übergewichtige sind gesünder, sondern es sind einfach die kränker, die ein niedrigeres Körpergewicht haben.“

Tatsächlich hatten auch in der Studie Normal- und Untergewichtige, die in den 20 Jahren deutlich abgenommen haben, das höchste Sterberisiko. Daran knüpft Florian Kiefer, Mediziner an der Medizinischen Universität Wien, einen weiteren Kritikpunkt: „Der Anteil an Untergewichtigen in der Studie war mit 47 Prozent sehr hoch. Auch Menschen mit einem BMI von nur zehn wurden miteingeschlossen. Da sprechen wir von einem sehr schweren, krankhaften Untergewicht.“ Übergewichtig und adipös waren hingegen rund elf Prozent. Das könnte die Ergebnisse verzerren haben.

Kein Vorteil bei Herzkreislauferkrankungen

Dass Übergewicht nicht automatisch die Lebenszeit verlängert, lässt sich auch aus den Details der Studie herauslesen. Jene, die an Herz-Kreislauf-Erkrankungen litten, einen höheren BMI bzw. einen größeren Taillenumfang hatten, waren gegenüber Normalgewichtigen nicht im Vorteil. „Ein erhöhter Taillenumfang und Übergewicht hängen zusammen. Daran knüpfen sich wiederum Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Folgeerkrankungen wie zum Beispiel Diabetes“, sagt Kaser. Darüber hinaus hatten auch Übergewichtige, die weiter zugenommen haben, ein erhöhtes Risiko zu sterben.

Ganz ausschließen würde der Mediziner Florian Kiefer den Vorteil eines höheren Körpergewichts im Alter aber dennoch nicht: „Es ist durchaus möglich, dass gewisse Reserven im höheren Alter besser sein können. Etwa, wenn es um chronische Erkrankungen geht, die dann zum Teil den Körper auszehren können.“ Fraglich sei nur, wie sich das Körpergewicht zusammensetzt: wie groß also der Muskelanteil ist und auch wie körperlich fit eine Person ist. „Solche Studien sind durchaus wichtig, weil sie Diskussionen anregen und zeigen, dass wir noch einiges hinsichtlich Gewicht im höheren Alter dazulernen müssen und noch bessere Studien brauchen.“