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Putins Propagandafehler im Donbas

Als Russland 2014 damit begonnen hat, in den Donbas im Osten der Ukraine einzumarschieren, sind dem Kreml dort Anfängerfehler in der Propaganda unterlaufen, zeigt eine Studie der Universität Cambridge. Diese warnt aber auch: Wladimir Putin könnte sich die damaligen Strategien heute doch noch zunutze machen – etwa das Narrativ eines „Neurusslands“.

Der Krieg in der Ukraine verläuft nicht so, wie der russische Präsident sich das vermutlich vorgestellt hat. Aufgrund der unerwartet großen Gegenwehr seit dem großangelegten russischen Überfall auf das gesamte ukrainische Staatsgebiet Ende Februar, konzentrierte sich Moskau zuletzt wieder verstärkt darauf, den Osten des Landes zu erobern. Dort, im Donbas, hatte die Invasion Russlands vor über acht Jahren begonnen.

Schon damals seien die Bemühungen des Kreml, in der Bevölkerung der Oblaste Donezk und Luhansk eine prorussische Identität zu schaffen, weitgehend erfolglos gewesen, sagt der Slawist und Politikwissenschaftler Jon Roozenbeek, der am Institut für Psychologie der Universität Cambridge forscht.

„Unausgegorene Desinformationskampagne“

Im Rahmen seiner Doktorarbeit, die nun veröffentlicht wurde, analysierte Roozenbeek Tausende Zeitungsartikel von ostukrainischen Medien, die zwischen 2014 und 2017 russische Propaganda verbreiteten. Sein Fazit: Die Medienmanipulation des Kreml habe kaum Auswirkungen auf das Identitätsbewusstsein der russischsprachigen Ukrainerinnen und Ukrainer im Donbas gehabt. Die Desinformationskampagne sei unausgegoren, wenig überzeugend und zu wenig stimmig gewesen, um ausreichend Unterstützung in der ostukrainischen Bevölkerung zu gewinnen.

Als Beispiel nennt Roozenbeek die Strategie des Kreml, den historischen Begriff „Noworossiya“ – Neurussland – wiederzubeleben. Darunter fasste Zarin Katharina die Große im 18. Jahrhundert den heutigen Osten und Südosten der Ukraine zusammen. Putin streute den Begriff seit der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim im März 2014 immer wieder in öffentlichen Reden. Damit sollte Beobachterinnen und Beobachtern zufolge suggeriert werden, dass der Osten der Ukraine zu Russland gehöre. In der über die Medien verbreitete Propaganda wurde „Noworossiya“ aber kaum erwähnt, wie Roozenbeeks Analyse zeigt.

„Wir" vs."die anderen“

Die Propaganda des Kreml habe verabsäumt der Fremdgruppe – also der ukrainischen Regierung – eine Eigengruppe gegenüberzustellen, so Roozenbeek: „Ein grundlegender Fehler bei jedem Versuch dauerhafte Spaltung zu erzeugen“. Es habe zwar „die anderen“ gegeben, aber kein echtes „Wir“. Denn anstelle von Identitätsbildung stützten sich fast alle Bemühungen im Donbas darauf, die Regierung in Kyjiw als faschistisch darzustellen, um eine Fremdgruppe zu schaffen, auf die sich die Feindseligkeit konzentrieren sollte.

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Gegen Faschismus und mit Schildern mit der Aufschrift „Donbas, Russland ist mit dir“ wurde 2014 in Moskau demonstriert

Für die Studie nutzte Roozenbeek Methoden der Computerlinguistik – einer Schnittstelle zwischen Linguistik und Informatik -, mit denen natürlich Sprache algorithmisch verarbeitet werden kann. Er durchsuchte über 85.000 Print- und Onlineartikel in 30 lokalen und regionalen Medien in Donezk und Luhansk, die zwischen 2014 und 2017 erschienen sind.

Vernachlässigte „Russische Welt“

Ein Großteil der Berichterstattung in den Printmedien drehte sich demnach weiter um Sport und Unterhaltung, rund 36 Prozent widmete sich aber der Identitätsbildung durch Propaganda. So sei etwa der Krieg im Donbas als Angriff „ukrainischer Neonazis“ dargestellt worden. Putins Konzept des „Noworossiya“ schenkte aber nur eine einzige Zeitung Beachtung.

Beschreibungen einer gruppeninternen Identität, die den Donbas als Teil der „Russki Mir“, der „Russischen Welt“, positionierte, fehlten laut Roozenbeek in den Printmedien fast vollständig. Dasselbe Muster finde sich weitgehend auch in den Onlinemedien, die laut Roozenbeek „noch eindringlicher versuchten, die Fremdgruppe – die Regierung in Kyjiw – zu dämonisieren“. Die Etablierung einer prorussischen „Wir“-Identität sei auch in den Onlinemedien vernachlässigt worden.

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Eine Luftaufnahme von Irpin, einem Vorort von Kyjiw, zeigt die Zerstörung, die der Krieg in der Ukraine verursacht

Überraschend sei all dies auch deshalb, weil der Plan des Kreml für den Donbas eindeutig vorgesehen habe, das Konzept der „Russki Mir“ hervorzuheben, so Roozenbeek. Diese Strategie, die 2016 deutschen Zeitungen zugespielt wurde, wird dem ehemaligen Chefpropagandisten des Kreml, Wladislaw Surkow, zugeschrieben. Sie beschreibt die Notwendigkeit, im Donbas eine Ideologie der „kulturellen Souveränität“ aufzubauen und zu fördern, die als „Sprungbrett zur Eigenstaatlichkeit“ der Oblaste Donezk und Luhansk dienen sollte.

„Strategische und logistische Katastrophe“

Roozenbeek nennt zwei Schlüsselfaktoren, warum der Einmarsch Russlands in die Ukraine zur „strategischen und logistischen Katastrophe“ wurde: Erstens, die Entscheidung des Kreml, die Feindseligkeit gegenüber der Fremdgruppe der Identitätsbildung der Eigengruppe vorzuziehen. Und zweitens habe Putin schlicht die Stärke der ukrainischen Identität im Donbas stark unterschätzt; und die Macht seiner Propagandamaschinerie in den besetzten Gebieten im Osten der Ukraine hingegen überschätzt.

Ein Problem sieht Roozenbeek dennoch: Mit dem Narrativ eines „Neurusslands“ habe Putin zwar im Osten der Ukraine weniger Erfolg gehabt als erwartet; im Ausland sei aber seit den ersten Jahren der russischen Besetzung vielerorts die Annahme verbreitet, dass dieses ideologische Konzept in der Bevölkerung des Donbas tief verwurzelt sei.

Rechtfertigung für Kriegsverbrechen

Jetzt, wo Russland sich wieder mehr auf die Eroberung des Donbas konzentriere, könnte Putin erneut versuchen, sich diese Propagandastrategie zunutze zu machen: Um die Besetzung zu rechtfertigen und zu behaupten, dass diese von der lokalen Bevölkerung unterstützt werden. Und auch um von Russland begangene Kriegsverbrechen zu rechtfertigen.

Werden „der Unsinn eines ‚Noworossiya‘ und andere unausgegorene ideologische Narrative“ nicht auf globaler Ebene thematisiert und entlarvt, könnten sie sich außerhalb Russlands und der Ukraine verbreiten, warnt Roozenbeek. Und sie könnten dazu benutzt werden, die Ukraine unter Druck zu setzen, große Teile ihres Staatsgebietes aufzugeben – nicht zuletzt weil ein langwieriger Krieg die Nerven der Weltgemeinschaft mehr und mehr strapaziere.