Coronaviren unter dem Elektronenmikroskop
APA/AFP/National Institutes of Health/Handout
APA/AFP/National Institutes of Health/Handout

Pandemie: Szenarien für den Herbst

Die Pandemie ist in ihre saisonale Entspannungsphase getreten. Doch der Herbst wird kommen – und der Ruf, sich darauf vorzubereiten, wird lauter. Welches sind die wahrscheinlichsten Szenarien? Und was wäre zu tun?

Während in Österreich nun frühlingshafte Temperaturen herrschen, steuert die südliche Hemisphäre auf die kalte Jahreszeit zu. Die Südhalbkugel ist also eine Art Laboratorium für das, was bei uns im Herbst passieren könnte. In Südafrika etwa baut sich gerade die fünfte Infektionswelle auf. Hauptverantwortlich dafür sind die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5.

Immunflucht von BA.4 und BA.5

Mittlerweile gebe es recht gute epidemiologische Daten, die diesen beiden Subvarianten einen Wachstumsvorteil gegenüber BA.2 bescheinigen, sagt Virologe Andreas Bergthaler von der MedUni Wien. „Was bei BA.4 und BA.5 besonders spannend ist: dass sie Mutationen enthalten, die zum Teil von anderen Varianten bekannt waren – zum Beispiel von Delta – und die mit Immunflucht zu tun haben.“

Dieses mutationsbedingte Ausweichen vor dem Immunsystem wäre eine mögliche Erklärung für die gute Vermehrungsfähigkeit von BA.4 und BA.5. Ob die beiden Omikron-Abkömmlinge auch in Österreich so „erfolgreich“ sein werden – beide wurde hierzulande bereits nachgewiesen -, ist indes nicht sicher.

Denn die letzte Erkrankungswelle in Südafrika war von BA.1 dominiert, während es bei uns mehr BA.2-Fälle gab, die außerdem durch eine höhere Impfquote abgepuffert wurden. Insofern sind die Ergebnisse aus Südafrika sicher nicht eins zu eins übertragbar. Die gute Nachricht bisher: Hinweise auf schwerere Krankheitsverläufe wurden noch keine entdeckt.

Szenarien: Von Ende bis Eskalation

Bergthaler hat kürzlich mit einem interdisziplinären Autorenteam die möglichen Szenarien für Herbst und Winter abgesteckt. Nach Lektüre des 14-seitigen Arbeitspapiers (PDF) fällt auf: Noch ist alles möglich, die Szenarien reichen vom Idealfall eines sich in die Harmlosigkeit mutierenden Virus bis zum Notfall einer völlig außer Kontrolle geratenen Pandemie.

Die Szenarien im Überblick:

Szenario eins: „Die Pandemie ist beendet.“ Das wäre laut dem Autorenteam die bestmögliche Entwicklung mit ausschließlich harmlosen neuen Virustypen und bloß leichten Erkrankungen. In diesem Fall hätte sich die Lungenkrankheit Covid-19 in einen Schnupfen verwandelt.

Szenario zwei: „Die Endemie ist erreicht.“ Auch das wäre eine günstige Entwicklung, Charakteristiken wären etwa eine stabile Immunität in der Bevölkerung sowie leichte Erkrankungswellen alle ein, zwei Jahre, letztlich ähnlich wie in der Omikron-Welle – oder sogar harmloser.

Szenario drei: „Langsamer Übergang in die Endemie.“ Hier gelänge es den neuen Varianten, den Immunschutz ein Stück weit zu unterlaufen, Konsequenz wären Infektionswellen mit hohen Inzidenzen in der kalten Jahreszeit inklusive einer Belastung des Gesundheitssystems. Ebenfalls ähnlich wie Omikron, aber tendenziell ungünstiger.

Szenario 4a: „Die Pandemie hält an.“ In diesem ungünstigen Szenario würde nach den zweieinhalb Jahren Pandemie alles mehr oder weniger von vorne losgehen, neue Varianten wären von ihrer Gefährlichkeit mit Delta vergleichbar, Lockdowns wären wieder möglich bzw. notwendig.

Szenario 4b: „Die Pandemie eskaliert.“ In diesem Szenario würde das Coronavirus durch Umgestaltung seines Erbguts völlig neue Eigenschaften erlangen und noch gefährlicher als alle bisherigen Varianten werden. Ein neuer, angepasster Impfstoff müsste so schnell wie möglich entwickelt werden.

In Szenario 4b, sagte Bergthaler im Ö1-Interview, sei allerdings schone einige Fantasie im Spiel gewesen, nämlich, dass es zu einer genetischen Rekombination zwischen SARS-CoV-2 und einem anderen Coronaviurs kommt. Zum Beispiel mit dem MERS-Virus, das bei Kamelen vorkommt, „aber das scheint mir doch sehr unwahrscheinlich“, so Bergthaler.

Omikron als Orientierungsgröße

Wahrscheinlicher sind da wohl die gemäßigten Szenarien, die in ihrem Verlauf der letzten Omikron-Welle ähneln würden. Das heißt: neue Mutationen, neue Infektionen, aber keine Überlastung der Intensivstationen. Vorbereiten kann man sich jedenfalls. Bergthaler forderte einerseits eine Stärkung der Infrastruktur, also zum Beispiel mehr Personal im Gesundheitsbereich, und effektive Entlüftungsanlagen für Schulen.

Andererseits müssten die derzeit weitgehend zurückgefahrenen Test- und Überwachungssysteme vorbereitet werden, um im Ernstfall schnell mehrere Gänge hochschalten zu können. Damit hat Bergthaler auch die Abwasseranalysen im Blick. Mit deren Hilfe konnte man bisher frühzeitig erkennen, wenn neue Varianten das Kommando im Infektionsgeschehen übernommen haben.