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AndrewJ – stock.adobe.com
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Verkehr

Das optimale Radwegnetz

Wie Städte optimal Radwegnetze planen sollen, hat ein Team um den österreichischen Komplexitätsforscher Michael Szell untersucht. Mittels Netzwerkanalysen zeigte es, dass es nicht auf die Länge der Radwege ankommt, sondern darauf, wie das Netzwerk ausgebaut wird.

Weltweit wird nach nachhaltigen Lösungen für den innerstädtischen Verkehr gesucht. „Bezieht man alle Kosten etwa für Gesundheitssystem, Umweltverschmutzung und Klimawandelfolgen ein, ist es viel ökonomischer, in Fahrradwege zu investieren als in den Autoverkehr“, so Michael Szell von der IT-Universität Kopenhagen und dem Complexity Science Hub (CSH) Vienna.

Kommunen müssen ausdauernd in den Ausbau investieren, um eine kritische Schwelle zu überwinden. Erst dann werde das Netz funktional, so die Forscher und Forscherinnen im Fachjournal „Scientific Reports“. Das Forschungsteam entwickelte zudem ein interaktives Tool, mit dem man Fahrradnetze in 62 Städten wachsen lassen kann.

Beispiel Kopenhagen

In der Praxis kämpfe die Entwicklung einer Radinfrastruktur aber „mit einer politischen Trägheit, die auf die tief verwurzelte, komplexe Abhängigkeit vom Auto zurückzuführen ist“, heißt es in der Studie. Als Beispiel wird Kopenhagen genannt. Es seien 100 Jahre politischer Kämpfe notwendig gewesen, um dort ein funktionierendes Netz geschützter Fahrradstraßen zu entwickeln, das allerdings bis heute noch in 300 unzusammenhängende Teile zersplittert ist.

Auch in anderen Städten erfolge der Aufbau von Radwegnetzen typischerweise durch jahrzehntelange, stückweise Verbesserungen. Das sei etwa auch in Wien der Fall, so Szell. Genau das ist aber „die schlechteste Wachstumsstrategie“, zeigten die Wissenschafter mit ihren Simulationen. Eine solche mehr oder weniger auf Zufall basierende Strategie benötige mindestens dreimal so viele Investitionen wie eine die ganze Stadt umfassende grundlegende Strategie.

Drei Kriterien für das ideale Radwegnetz

Für ihre Simulationen stützten sich die Forscher auf existierende Gestaltungsrichtlinien für den Ausbau von Radinfrastruktur, etwa das niederländische „CROW Design Manual for Bicycle Traffic“. Demnach gibt es drei wichtige Kriterien, die ein Radwegnetz erfüllen sollte: Es sollte durchgängig sein, also keine Lücken mit gemischtem Verkehr aufweisen, von A nach B sollte man möglichst direkt kommen können, und alle Teile der Stadt sollten per Rad erreichbar sein.

Radfahrer auf Fahrradstreifen (Praterstraße)
APA/HERBERT PFARRHOFER

Weil weltweit betrachtet die meisten Städte keinerlei Infrastruktur für sicheres Radfahren haben, stützten sich die Forscher in ihren Simulationen auf das vorhandene Straßennetz. Für die Netzwerkknoten, die es zu verbinden gilt, verwendeten sie zwei Zugänge: einerseits ein einfacher, regelmäßiger Raster, der über die Stadt gelegt wird, andererseits reale U-Bahn-Stationen, Spitäler, Schulen und andere Punkte öffentlichen Interesses.

Länger ist nicht besser

Unabhängig von der jeweiligen Stadt zeigte sich in den Simulationen durchwegs, „dass es eine kritische Masse an Radwegen geben muss, bevor das Netzwerk funktional wird, also durchgängig und direkt“, so Szell gegenüber der APA. Bevor diese kritische Schwelle erreicht werde, verringern sich die Qualitätskennzahlen des Netzwerkes. Deshalb höre man bei der derzeit verfolgten Strategie mit stückweisem Ausbau oft den Einwand: „Wir haben schon so viele Radwege gebaut, aber niemand nutzt die. Warum sollen wir dann noch mehr bauen?“, schreiben die Forscher.

Die Empfehlung der Netzwerkforscher an Städte lautet daher: „Versuchen Sie, strategisch für die ganze Stadt zu planen und nicht stückweise bzw. lokal für einzelne Bezirke. Dann wird das Netzwerk früher zusammenhängend und funktional.“ Zudem sage die Länge der Radwege einer Stadt nicht viel über die Qualität der Radinfrastruktur aus. „Wichtig ist vielmehr, wie direkt die Wege sind, wenn ich ausschließlich auf Radwegen von einem zufälligen Punkt der Stadt zu einem anderen fahren möchte.“

Auswirkungen auf den Autoverkehr

Der Ausbau der Fahrradinfrastruktur hat natürlich Auswirkungen auf den Autoverkehr: „Wir haben für unsere Simulationen die sehr starke Annahme getroffen, dass auf allen Straßen, auf denen wir Radwege bauen, die Geschwindigkeit der Autos auf Schrittgeschwindigkeit sinkt“, sagte Szell. Denn ähnlich wie auf vielen Radwegen in den Niederlanden sollen auf diesen Radstraßen zwar auch Autos fahren dürfen, aber eben nur in Schrittgeschwindigkeit, und Fahrräder Priorität haben.

Das Forschungsteam betont, dass es sich bei ihren Ergebnissen für die einzelnen Städte um „statistische Lösungen“ handle, die sich nicht eins zu eins umsetzen lassen. So habe man lokale Besonderheiten bzw. untergeordnete Effekte wie die Geländeform nicht berücksichtigt. Man könne die Simulationen aber als ersten Entwurf heranziehen und mit lokalen Planern verfeinern. Dass die statistischen Lösungen nicht völlig realitätsfremd sind, zeigt die Simulation für Kopenhagen. „Es war eine große Überraschung für uns, dass sich unser statistischer Zugang weitgehend mit der Realität in Kopenhagen deckt, es gibt eine Überlappung von 80 Prozent“, so Szell.