Gay Pride, Demonstration, Protest, Privilegien
ink drop – stock.adobe.com
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Psychologie

Privilegierte sehen Gleichstellung als Bedrohung

Menschen, die etwa aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft Vorteile im Leben haben, fühlen sich laut einer Studie aus den USA durch die Gleichstellung von benachteiligten Gruppen häufig bedroht – auch wenn für sie selbst dadurch überhaupt kein Schaden entsteht.

Politisch eine Meinung zu vertreten ist das eine, im Alltag danach handeln das andere: Häufig befürworten Angehörige privilegierter Gruppen gesellschaftliche Gleichstellung nach außen hin, heißt es in der Studie, unterstützen dann aber doch Maßnahmen, die Ungleichheit aufrechterhalten oder sogar verschärfen. Der Grund: Sie befürchten, dass ihre Vormachtstellung Schaden erleidet.

Dadurch werde die Gleichstellung von Gruppen verhindert, die beispielsweise aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres sozioökonomischen Hintergrunds benachteiligt werden, schreibt das Forschungsteam um Erstautor Derek Brown von der Haas School of Business der University of California Berkeley. Die Studie wurde nun im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht.

Privilegierte ziehen eigenen Schaden Gleichheit vor

Der Psychologe und Betriebswirt Brown untersuchte mit seinen Kollegen, wie tief dieses Nullsummendenken verwurzelt ist – die Wahrnehmung also, dass der Gewinn einer Person der Verlust einer anderen Person ist. Für ihre Studie führte das Team neun Experimente mit knapp 4.200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in den USA durch. Während sich die bisherige Forschung zur Thematik auf Szenarien konzentrierte, in denen Privilegierte auch Nachteile in Kauf nehmen mussten, ging es in der aktuellen Studie um Situationen, die ausdrücklich keine Nullsummenspiele waren.

So zeigten etwa zwei Gruppenexperimente, dass Probandinnen und Probanden sogar dann eher für Maßnahmen stimmen, die die Ungleichheit für weniger Privilegierte verschärfen, wenn sie selbst finanziellen Schaden hätten. Und sie stimmten gegen Maßnahmen, durch die Ungleichheiten abgebaut werden, auch wenn ihnen selbst dafür Vorteile angeboten werden.

Auswirkungen auf Politik

Eine weitere Untersuchung ergab zudem, dass die Tendenz des Nullsummendenkens unabhängig von der politischen Haltung des Einzelnen zutage tritt. Dennoch kann es Wahlentscheidungen beeinflussen, so die Autoren, und verweisen auf eine Wahlinitiative im US-Bundesstaat Kalifornien, deren Ziel es 2020 war, eine Politik der Affirmative Action (auf Deutsch auch positive Diskriminierung) durchzusetzen. Dabei werden gesellschaftspolitische Maßnahmen erlaubt, die der negativen Diskriminierung durch gezielte Vorteilsgewährung entgegenwirken. In Kalifornien stimmten vor zwei Jahren 57 Prozent der Bevölkerung gegen den Gesetzesvorschlag.

Benachteiligte sollen benachteiligt bleiben

Die Tendenz, benachteiligten Gruppen auf keinen Fall eine Verbesserung ihrer Situation zugestehen zu wollen, bleibe sogar dann erhalten, wenn für alle Beteiligten eine Win-win-Situation geschaffen werden könnte. Dass Privilegierte aber sogar Schaden in Kauf nehmen, damit Benachteiligte benachteiligt bleiben, wirke sich auch gesamtwirtschaftlich aus, so die Autoren.

So koste etwa die strukturelle Benachteiligung von People of Color die US-Wirtschaft pro Jahr ungefähr 16 Milliarden Dollar des BIP (Bruttoinlandsprodukt). Und die Tatsache, dass vorbestrafte Arbeitssuchende Schwierigkeiten haben auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen, verringere das BIP um 78 Milliarden Dollar. Diese gesamtwirtschaftlichen Kosten schaden auch den privilegierten Gruppen innerhalb der Gesellschaft, so die Forscher.

„Nullsummendenken hält sich hartnäckig“

Obwohl viele US-Amerikaner und US-Amerikanerinnen mehr soziale Gerechtigkeit befürworten, stoßen politische Maßnahmen zur Durchsetzung von Veränderungen häufig auf heftigen Widerstand, so die Studienautoren – insbesondere von Angehörigen privilegierter Gruppen. Die Überzeugung, dass der Gewinn einer Gruppe immer auf Kosten einer anderen Gruppe gehen muss, selbst wenn es klare Beweise für das Gegenteil gibt, halte sich sehr hartnäckig.

Diese „falsche Wahrnehmung“, wie die Autoren schreiben, finde sich in ganz unterschiedlichen Bereichen, etwa wenn es um die Genehmigung von Darlehen für Hypotheken und um die Angleichung von Gehältern gehe. Von der Gesellschaft Privilegierte zeigen sie beispielsweise in Bezug auf Frauen, auf People of Color und auf Menschen mit Behinderung, wenn es darum gehe Ressourcen wie etwa Arbeitsplätze zu verteidigen.

In weiterer Folge soll nun untersucht werden, wie Menschen aus benachteiligten Gruppen gleichstellungsfördernde Maßnahmen wahrnehmen – und wie die negativen Auswirkungen des Nullsummendenkens von Privilegierten in Bezug auf Gleichstellung abgefedert oder gänzlich umgangen werden könnten.