Vater spricht mit Baby, das auf einem Sofa sitzt
©Drazen – stock.adobe.com
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Linguistik

Sprachwandel funktioniert wie Stille-Post-Spiel

Sprache verändert sich über die Jahrhunderte ähnlich wie das Stille-Post-Spiel. Das zeigt eine neue Studie, die den Sprachwandel in mittelalterlichen englischen Texten untersucht hat. Für das Gehirn leichter zu verarbeitende Laute werden laut der Studie häufiger verwendet.

Dies berichten Theresa Matzinger und Nikolaus Ritt vom Institut für Anglistik der Universität Wien in einer Studie, die soeben im Fachjournal „Cognitive Linguistics“ erschienen ist.

Aus „ma-ke“ wurde „maak“

Heute gesprochene Sprachen unterscheiden sich grundlegend von jenen aus früheren Zeiten, nicht nur in ihrem Vokabular und ihrer Grammatik, sondern auch in der Aussprache. So wurde das englische Wort „make“ (dt.: machen) im frühen Mittelalter als „ma-ke“ zweisilbig und mit kurzem „a“ ausgesprochen, während es im späten Mittelalter zum einsilbigen „maak“ mit langem „a“ wurde. Der Verlust der zweiten Silbe und die gleichzeitige Verlängerung des Vokals wie beim Wort „make“ kam bei vielen englischen Wörtern des Mittelalters vor, heißt es am Donnerstag in einer Aussendung der Uni Wien.

Matzinger und Ritt haben untersucht, welche Faktoren für diesen Wandel von Sprachlauten verantwortlich sind und was solche Phänomene über die Fähigkeiten des Gehirns sagen können. Sie analysierten dazu mehr als 40.000 Wörter aus englischen Texten des frühen Mittelalters und bestimmten die Länge der Vokale darin, etwa mithilfe von Wörterbüchern oder durch Berücksichtigung angrenzender Laute.

Trend zu einsilbigen Wörtern mit langen Vokalen

Anhand der Häufigkeit von Wörtern mit langen und kurzen Vokalen zeigte sich, dass die Mehrheit der einsilbigen Wörter des Mittelalters lange und nur eine Minderheit kurze Vokale hatte. Den Fachleuten zufolge wurden einsilbige Wörter mit kurzem Vokal von Zuhörern nicht so gut oder nicht so schnell erkannt oder erlernt, weil sie nicht in das gewohnte Lautmuster passten. „Wörter, die zu den häufig vorkommenden Lautmustern mit langem Vokal passten, konnten hingegen leichter vom Gehirn verarbeitet werden“, erklärte Matzinger.

„Man kann sich Sprachwandel wie ein Stille-Post-Spiel vorstellen“, betonte die Expertin. Das leichtere Wahrnehmen und Erlernen von einsilbigen Wörtern mit langen Vokalen führte über Jahrhunderte hinweg dazu, dass immer mehr einsilbige Wörter lange Vokale bekamen. Kinder würden Muster, die in der Sprache der Elterngeneration häufig vorkommen, besser wahrnehmen, sie daher schneller lernen und noch häufiger benutzen. Sie geben daher an ihre eigenen Kinder eine leicht veränderte Sprache weiter. Über Jahrhunderte hinweg würden so Sprachvarianten entstehen, die so unterschiedlich sind, dass man sie kaum mehr verstehen kann.

„In unserer Studie konnten wir zeigen, dass die allgemeine Fähigkeit unseres Gehirns, häufige Dinge bevorzugt wahrzunehmen und zu erlernen, ein wichtiger Faktor ist, der bestimmt, wie sich Sprachen verändern“, so Matzinger. Die Fachleute wollen nun untersuchen, ob diese Häufigkeiten von sprachlichen Mustern auch bei anderen Sprachwandelphänomenen oder in anderen Sprachen als Englisch vorkommen.