Bahngleis, Zug, Bahn, Gleise
peter freitag/EyeEm – stock.adob
peter freitag/EyeEm – stock.adob
Seltene Pflanzen

Gleisanlagen als Hotspots für Biodiversität

Auf trockenen Bahngleisanlagen findet sich eine überraschende Artenvielfalt. Diese wurde nun entlang der Vorarlberger Hauptbahnstrecke vom Bodensee bis an den Arlberg untersucht – dabei wurden 194 Arten aus 45 Pflanzenfamilien dokumentiert.

Der Botaniker Daniel Reidl untersuchte die Pflanzen an 13 in Höhenlage, Niederschlagsmenge und Temperatur höchst unterschiedlichen Standorten auf Verlade- und Abstellgleisen, an Bahnübergängen sowie auf Schotter- und Kiesflächen am Gleisrand. Diese Flora muss nicht nur mit kargen Böden, sondern auch mit einer ständigen Umgestaltung ihres Lebensraums, etwa durch Instandhaltungsarbeiten, zurechtkommen.

Die daraus entstandene Forschungsarbeit wurde in der Reihe „inatura – Forschung Online“ veröffentlicht. Reidl, der auf Biodiversität im Siedlungsraum und Klimawandelanpassung spezialisiert ist, stieß auf die unterschiedlichsten Pflanzen: das Echte Johanniskraut, der Schmalblättrige Hohlzahn und das Klebrige Greiskraut – laut Reidl eine „echte siderodromophile (eisenbahnliebende) Art“, ebenso wie das Echte Leinkraut und die Dach-Trespe, eine Süßgrasart.

Bahnanlagen werden zu Ersatzstandorten

In unterschiedlicher Häufigkeit fanden sich Pionierpflanzen, aber auch viele rar gewordene Arten, die in unserer „aufgeräumten“ Kulturlandschaft kaum mehr Lebensraum haben. So kommt etwa der wärmeliebende Große Bocksbart in Vorarlberg nur selten vor, der gelb blühende Korbblütler ist in auf der Roten Liste als „unbeständig“ gelistet und wächst zum Beispiel am ÖBB-Service-Areal in Feldkirch. Auch der weitläufige Güterbahnhof Wolfurt birgt laut dem Experten eine überraschend hohe Artenvielfalt, von dem viele Insekten profitieren.

Seltene Pflanzen entlang der Gleisanlagen, Bahnhof in Lustenau
APA/ANGELIKA GRABHER-HOLLENSTEIN
Pflanzen entlang der Gleisanlagen am Bahnhof in Lustenau

Die meisten der entdeckten Arten, nämlich 108, waren nur ein- oder zweimal anzutreffen. So fand an den Gleisbetten die in Vorarlberg stark rückläufige Acker-Hundskamille Zuflucht, ebenso wie das Katzenmaul und der Acker-Steinsame. „Gerade Ackerbegleitpflanzen stehen bei uns ganz stark unter Druck. Sie haben ihre natürlichen Habitate praktisch verloren, Bahnanlagen können hier ein Ersatzstandort sein“, so Reidl.

„Typischer Eisenbahnwanderer“

Der Anteil an Neophyten, also zugewanderten Pflanzen, war mit elf Prozent entlang der Bahnanlagen fast doppelt so hoch wie jener an der gesamten Flora Vorarlbergs (sechs Prozent). „Für exotische Pflanzen waren Bahnlinien schon immer wichtige Wanderkorridore“, so der Forscher.

Dazu gehören der Purpur-Storchschnabel, laut dem Experten ein „typischer Eisenbahnwanderer“, der Dreifingrige Steinbrech, das Schmalblättrige Greiskraut und die allgegenwärtige Kanadische Goldrute. Teils massenhafte Bestände des gefürchteten, weil stark wuchernden Japan-Staudenknöterich stellte der Wissenschafter direkt an der Strecke Lochau – Bregenz fest.

Auch Erderwärmung macht sich bemerkbar

An zwei Standorten wuchs außerdem der aus Asien stammende Götterbaum, der sich in wärmeren Gefilden rasant ausbreitet. Die Behörden haben diese Neophyten unter Beobachtung. „Klimaveränderungen können harmlose Arten invasiv machen. Vom Götterbaum werden wir in den kommenden Jahren sicher noch hören, wenn die Wärmeperioden immer länger werden“, so Reidl.

Ein Monitoring sei außerhalb von Naturschutzgebieten nicht flächendeckend möglich, auch darum seien Forschungsarbeiten wie diese so wichtig. Insgesamt fand der Botaniker 21 Neophyten, dazu sechs verwilderte Zierpflanzen, etwa Schmetterlingsflieder und Zimbelkraut, das sich an Sockeln von Bahnsteigen wohlfühlt. Mehlige Königskerze und Wilde Resede kommen auf Schotterstandorten natürlich vor, sie dürften aber auch aus Samenmischungen für Dachbegrünungen stammen.

Botanische Gärten an Bahnstrecken

Obwohl es sich bei Gleisanlagen um von Menschen geprägte Standorte handle, die als naturfern wahrgenommen werden, gehörten sie zu den „Hotspots der pflanzlichen Diversität“, so Reidl. Er wolle mit seiner vom Vorarlberger Naturkundemuseum inatura unterstützten Arbeit einen Anfang machen. Diese sei bei weitem nicht vollständig und biete nur einen ersten Überblick über die Vielfalt und Verteilung der Arten entlang der Schienen.

Früher, als die Eisenbahnwaggons noch weniger hermetisch geschlossen waren, fand sich dort vermutlich ein noch weit bunterer „botanischer Garten“, was Reidl derzeit in einem historischen Vergleich untersucht. Zudem dokumentiert er gerade die Pflanzen-Besiedelung der neu gebauten Bahnstrecke Lauterach – Hard (Bez. Bregenz).