Ausschnitt der Fassade des Hauptgebäudes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
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Geschichte

Höhen und Tiefen: 175 Jahre ÖAW

Am 14. Mai 1847 hat Kaiser Ferdinand I. durch ein Patent die Gründung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien genehmigt. Eine neue Publikation geht den bewegten 175 Jahren der Institution seit damals nach. Sie spart dabei auch die negativen Seiten der Geschichte nicht aus – etwa als die Akademie im Nationalsozialismus zum Vorbild im „Dritten Reich“ wurde.

175 Jahre historisch-kritisch zu beschreiben, braucht seinen Raum: Drei Bände mit 1.845 Seiten sind es geworden, die die beiden Historiker Johannes Feichtinger und Brigitte Mazohl von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit einem Kollektiv von rund 20 Autoren und Autorinnen herausgegeben haben. Die Publikation wurde auch einem Peer Review unterzogen, also von nicht beteiligten Fachkollegen bewertet: „Sie geht über alle mir bekannten Akademiegeschichten weit hinaus, inhaltlich wie methodisch, und setzt in dieser Hinsicht Maßstäbe“, urteilt etwa die Wissenschaftshistorikerin Kärin Nickelsen von der Universität München.

Gründung ein Jahr vor Revolution

Frühstarter war die Akademie keine. Die britische Royal Society etwa wurde 1660 gegründet, die französische Académie des sciences 1666 und die Preußische Akademie der Wissenschaften 1700. Dass es in Österreich bis 1847 dauerte, „liegt daran, dass sie als Kaiserliche Akademie gegründet wurde und dass das Kaisertum Österreich erst weniger als ein halbes Jahrhundert davor entstanden ist“, so der Historiker Johannes Feichtinger.

Die Gründung genau ein Jahr vor der Revolution 1848 war kein Zufall. Metternich soll sie mit den Worten argumentiert haben, „das Schwirren der Zeit einfangen“ zu wollen, erinnert die Buch-Mitautorin und Historikerin Heidemarie Uhl. „Noch zehn Jahre vorher hat er sie abgelehnt – obwohl ihn führende Wissenschaftler der Zeit dazu aufgefordert hatten. Nun wollte er das intellektuelle und wissenschaftliche Potenzial am Vorabend der Revolution gewissermaßen durch die Akademiegründung befrieden – als Mittel gegen das ‚Schwirren der Zeit‘“, so Uhl.

Revolutionäre Studenten im März 1848 vor dem 1857 der Akademie
übergebenen Universitätsgebäude in Wien
Archiv der Universität Wien
Revolutionäre Studenten im März 1848 vor dem 1857 der Akademie übergebenen Universitätsgebäude in Wien

Genützt hat das kurzfristig nichts, Mitglieder der Akademie waren 1848 in einer kurzen Phase führende Revolutionäre. „Das hat sich allerdings dann sehr rasch wieder gelegt“, sagt die Historikerin. Die Wissenschaftler konzentrierten sich wieder auf die Wissenschaft, und da zu Beginn gleich auf sehr fundamentale, für das Habsburgerreich praktisch bedeutsame Themen. Die Akademie initiierte die ersten Wetterstationen, förderte den Aufschluss der Kohlevorkommen und editierte die österreichische Geschichtsquellen.

In den 1850er Jahren nahm sie mit der Fregatte Novara teil an einer Weltumsegelung und ermöglichte später Expeditionen in den Himalaja, die Tropen und die Wüsten der Welt. Ausgrabungen u. a. in Ephesos und bei den Pyramiden von Gizeh wurden von Akademiemitgliedern initiiert. Die österreichische Akademie erkundete und vermaß die Welt also ähnlich wie Wissenschaftsakademien anderer Kolonialmächte. Im Lauf der Zeit entwickelte sie aber auch einige Besonderheiten.

Kalter Krieg und Wirtschaftsmotor

„Sie ist wie kaum eine andere eine Forschungsakademie, also nicht nur eine Gelehrtengesellschaft wie etwa die Royal Society oder die Académie des sciences, sondern gleichzeitig auch der größte außeruniversitäre Forschungsträger des Landes“, erklärt Johannes Feichtinger. Mit dem Institut für Radiumforschung wurde das erste Akademieinstitut bereits 1908 eingerichtet, sprunghaft ausgebaut wurden die Institute dann aber ab Mitte der 1960er Jahre. 1969 waren es schon sieben, 1973 17 und 1990 20. Heute unterhält die ÖAW 25 Institute.

Cover des Buchs „Die Österreichische Akademie der Wissenschaften 1847–2022“
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Johannes Feichtinger/Brigitte Mazohl (Hg.), Die Österreichische Akademie der Wissenschaften 1847–2022. Eine neue Akademiegeschichte, Verlag der ÖAW 2022

Für den sprunghaften Anstieg ab den 1960er Jahren gibt es zwei Hauptursachen, so Historiker Feichtinger: den Kalten Krieg und die Betonung von Wissenschaft und Forschung als Motor wirtschaftlicher Entwicklung. „Österreich hat im Kalten Krieg Akademieinstitute gegründet, die sowohl mit Ost als auch mit West kooperierten und da wie dort zentrale Forschungsbereiche waren: das Institut für Hochenergiephysik und das Institut für Molekularbiologie, später auch noch das Institut für Weltraumforschung“, sagt Feichtinger. Österreich positionierte sich als Mittler im Kalten Krieg, im Rahmen von Austauschprogrammen zwischen ÖAW und Ost-Akademien überquerten Forscher und Forscherinnen aus Österreich und der kommunistischen Staatenwelt zwischen 1967 und 1991 mehr als 6.500-mal die Blockgrenze.

Zudem sei Österreich damals in den OECD-Rankings als Forschungsstandort „so ziemlich an letzter Stelle gelegen“. Die Politik begann deshalb Geld in die Hand zu nehmen, „denn man versprach sich von Grundlagenforschung eine Steigerung des Wirtschaftswachstums und damit eine Erhöhung des Wohlstands.“

Erfolgloses Andienen an das „Altreich“

Eine Besonderheit – wenn auch eine unrühmliche – zeigte sich beim Verhalten der Akademie in der Zeit des Nationalsozialismus. Sie verhielt sich nämlich besonders willfährig und sollte zum Vorbild für andere Akademien im „Altreich“ werden. Die konkrete Geschichte: Wie im Rest Österreichs ging die NS-Übernahme auch an der Akademie sehr rasch vor sich. Nur eine Woche nach dem „Anschluss“ vom 12. März 1938 trat der seit fast 20 Jahren amtierende Akademiepräsident Oswald Redlich zurück, Anfang April wurde der Historiker Heinrich Srbik zu seinem Nachfolger (ohne Gegenkandidaten) „gewählt“. Srbik trat der NSDAP bei und blieb bis Kriegsende Akademiepräsident.

Noch im April 1938 wurde auch der Entwurf einer neuen Satzung ausgearbeitet. Dem bis dahin gültigen Zweck der Akademie – die „uneingeschränkte Förderung der Wissenschaft“ – wurden die Worte „im Dienste des deutschen Volkes“ hinzugefügt. Die Satzung nahm auch das Führerprinzip auf. Die Handlungsmacht sollte also allein dem Akademiepräsidenten obliegen. Theoretisch. „Denn praktisch stand ihm der Reichserziehungsminister in Berlin vor, womit seine Handlungsfähigkeit wesentlich eingeschränkt war“, erzählt Feichtinger.

Entwurf der Akademie für die neue Satzung, April 1938, § 7 und § 8, mit Änderungen des REM
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Entwurf der Akademie für die neue Satzung, April 1938, § 7 und § 8, mit Änderungen des Reichszerziehungmininsteriums

Nicht zuletzt deshalb konnte kaum eine der Hoffnungen, die mit der NS-Machtergreifung verbunden waren, verwirklicht werden. So wollte Akademiepräsident Srbik mehrere Institute, darunter ein großes für Balkanforschung, gründen. Eifersüchteleien im „Altreich“ hätten dies verhindert, so Feichtinger. „Es gab keinen institutionellen Erfolg durch den Nationalsozialismus, obwohl es in Wien mehr Nationalsozialisten gab als in fast allen anderen Akademien im deutschsprachigen Raum – rund die Hälfte aller ordentlichen Mitglieder und rund zwei Drittel der korrespondierenden Mitglieder waren auch Mitglieder der NSDAP.“ Nur die Heidelberger Akademie hätte eine ähnlich hohe Quote gehabt.

Ausschluss und Ermordung von Juden und Jüdinnen

Mit der hastig geschriebenen Satzung wollte sich die Akademie den neuen Machthabern also andienen. So sehr das gescheitert ist, so wichtig wurde diese Satzung im gesamten „Dritten Reich“. „Reichserziehungsminister Bernhard Rust genehmigte sie im Juli 1938, und übertrug sie danach auf alle deutschen Akademien, die noch keine nationalsozialistischen Satzungen hatten.“ Das heißt, die Akademien wurden gleichgeschaltet – mit dem Vorbild aus Wien samt Einführung des Führerprinzips und Ausschluss von jüdischen Mitgliedern.

Dienstsiegel der Akademie ab Oktober 1939
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Dienstsiegel der Akademie ab Oktober 1939

Aus der Akademie in der „Ostmark“ wurden zwischen 1938 und 1941 so 21 Mitglieder ausgeschlossen – 20 davon, weil sie den rassistischen Kriterien des Reichsbürgergesetzes nicht entsprachen. Unter ihnen befanden sich mit dem Physiker Victor Franz Hess und dem Chemiker Richard Willstätter zwei Nobelpreisträger. Der 1940 ausgeschlossene Physiker Erwin Schrödinger, ebenfalls Nobelpreisträger, war politisch unliebsam.

Die jüdischen Leiter, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Akademieinstituten wurden sehr rasch entlassen und durch illegale Nationalsozialisten ersetzt – etwa der international renommierte Zoologe Hans Przibram, der die von ihm selbst gegründete Biologische Versuchsanstalt im Wiener Prater verlassen musste. Insgesamt mussten 31 Mitarbeiter und 14 Mitarbeiterinnen die Akademie verlassen. 25 von ihnen gelang die Flucht ins Ausland, einige wenige konnten, geschützt durch ihre nichtjüdischen Ehepartnerinnen, in Wien überleben, sieben wurden von den Nationalsozialisten ermordet – darunter Hans Przibram und die Romanistin Elise Richter. Ein Mitarbeiter wurde im September 1944 als Regimekritiker in Brandenburg hingerichtet.