Ackerland, Acker, Agrarproduktion, Wiese, Brache, Brachfläche
Alexander Ozerov – stock.adobe.c
Alexander Ozerov – stock.adobe.c
Artenvielfalt

Kritik an Freigabe von Brachflächen

Österreich hat rund 9.000 Hektar an Brachflächen für die Agrarproduktion freigegeben. Was unter anderem zur globalen Lebensmittelversorgung beitragen soll, stößt bei Umweltexperten auf Kritik. Zu wichtig seien die Flächen als Lebensräume heimischer Tier- und Pflanzenarten.

Die Sorgen vor einer globalen Lebensmittelknappheit werden durch den Krieg in der Ukraine immer größer. In Österreich ist die Versorgung gesichert, wie Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) erst vor wenigen Tagen bekannt gab. Das Land sei in der Lage, sich in vielen Bereichen zum Großteil selbst zu versorgen. Als Reaktion auf die Konflikte in der Ukraine hat Österreich dennoch rund 9.000 Hektar an Brachflächen für die Agrarproduktion freigegeben.

Neben einer weiteren Absicherung des heimischen Marktes soll damit auch anderen Staaten weltweit mit der Lebensmittelversorgung unter die Arme gegriffen werden. Denn die Ukraine gilt als besonders fruchtbares Anbaugebiet für Getreide und hat vor allem für afrikanische Länder, in denen Hungersnöte herrschen, eine wichtige Funktion als Kornkammer. Österreich ist daher nicht das einzige Land, das Brachflächen zur landwirtschaftlichen Nutzung freigibt. Europaweit sollen es bis zu zwei Millionen Hektar werden.

Brachflächen als wichtiger Lebensraum

„Der Ukraine-Krieg zeigt klar, wie anfällig das globale Ernährungssystem – aber auch Energiesystem – gegenüber dem Verhalten einzelner totalitärer Staaten ist“, erklärt der Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Universität Wien gegenüber science.ORF.at. Die Beackerung von Brachflächen sieht der Ökologe aber kritisch, denn diese würden meist nicht ohne Grund brachliegen.

Die Flächen seien unter anderem wichtige Ökosysteme und bieten Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Essl, der auch Sprecher des österreichischen Biodiversitätsrates ist, erklärt dazu: „Rebhühner, beispielsweise, sind ganz stark auf diese Brachflächen angewiesen, aber auch sehr viele andere Arten – von Insekten und Bestäubern bis hin zu zahlreichen Vogelarten.“

Heimische Artenvielfalt nimmt ab

Im Bewirtschaften der Flächen sieht Essl eine weitere Gefahr für die zum Teil ohnehin schon geschwächte Artenvielfalt in Österreich. So seien laut dem Biodiversitätsforscher in den letzten 20 Jahren etwa 40 Prozent der heimischen Brutvögel, also zum Beispiel Amseln, Feldlerchen oder Schwalben, in der österreichischen Kulturlandschaft verloren gegangen. „Etwa zwei Drittel der Insekten – das heißt auch der Bestäuber – sind in den letzten Jahrzehnten verschwunden.“

Eine Zerstörung der Ökosysteme auf Brachflächen könne außerdem zu wirtschaftlichen Einbußen für die Landwirtschaft führen. So habe eine weitere Reduktion der Insekten und Bestäuber schnell zur Folge, dass auch Ernten auf bewirtschafteten Feldern geringer ausfallen. Außerdem seien Brachflächen wichtig für die Grundwasserneubildung – ein weiterer Vorteil für die Landwirtschaft.

Forderung nach mehr Schutzgebieten

Für Essl ist klar: „Aus wissenschaftlicher Sicht müssen die Brachen erhalten bleiben. Im Sinne der Artenvielfalt, aber auch im Sinne einer langfristig stabilen Nahrungsmittelproduktion in Österreich.“

Brachflächen zu erhalten sei aber nur ein wichtiger Punkt. Weitere Maßnahmen seien dringend notwendig, wie etwa eine Ausweitung und Verbesserung der österreichischen Naturschutzgebiete. Auch Gesetze, die umweltfreundliches Verhalten von Landwirten belohnen, könnten künftig zahlreiche Arten schützen. „Naturverträgliche Landnutzung als Landwirt oder als Forstwirt muss sich auch finanziell lohnen, Naturzerstörung muss hingegen finanziell sanktioniert werden.“

Individueller Handlungsbedarf

Neben Maßnahmen durch die Politik sei auch jeder und jede Einzelne gefragt, sich für den Artenschutz in Österreich einzusetzen. „Das fängt damit an, welche Produkte ich kaufe. Achte ich zum Beispiel auf die Herkunft und dass sie gewissen Standards entsprechen? Und besonders wichtig – bin ich bereit, dafür etwas mehr zu zahlen?“, so der Biodiversitätsforscher.

Mit dem Konsum ausgewählter Waren zeige man auch der heimischen Wirtschaft, dass sich eine möglichst umweltfreundliche Landwirtschaft lohnt. „Wenn ganz viele Leute so handeln, dann erzeugt das einen Veränderungsdruck und kann dazu führen, dass Landwirte nicht nur Nahrung produzieren, sondern dabei auch aktiv die Natur schützen.“

Außerdem müsse ein genereller Wechsel in den Lebens- und Essgewohnheiten vieler Personen stattfinden. Der hohe Fleischkonsum führe etwa dazu, dass bestehende Felder nicht ideal genutzt werden können. „Etwa 70 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in der EU werden für Tiernahrung verwendet.“ Weniger Tiernahrung und stattdessen Lebensmittel anzubauen, würde eine Bewirtschaftung von Brachflächen überflüssig machen.

Rasches Handeln nötig

Das Jahr 2022 ist laut Essl besonders wichtig für den Schutz der weltweiten Artenvielfalt. „Derzeit finden globale Verhandlungen zwischen den Unterzeichnerstaaten der Biodiversitätskonvention statt. Das ist die wichtigste internationale politische Übereinkunft zum Artenschutz.“ Dabei werde entschieden, wie die globale Biodiversitätspolitik in den nächsten Jahrzehnten aussehen soll.

Egal, welche Maßnahmen zuerst umgesetzt werden, die Zeit zu handeln ist laut Essl jedenfalls bereits da: „Sollten nicht bald Maßnahmen gesetzt werden, so ist klar, dass wir in einigen Jahrzehnten einen Planeten haben werden, der deutlich weniger lebenswert sein wird, der aufgrund von Nahrungsmittelknappheit viel mehr sozialen Sprengstoff erzeugen wird und es daher wahrscheinlich auch gesellschaftlich zu massiven Problemen kommt.“