Übersicht über verschiedene Zelltypen im menschlichen Körper, dargestellt als Spielkarten
Aviv Regev, Anna Hupalowska, Human Cell Atlas
Aviv Regev, Anna Hupalowska, Human Cell Atlas
Zellatlas

Eine Million Menschenzellen katalogisiert

Alle Zellen im menschlichen Körper zu erfassen: Das ist Ziel des Projekts „Human Cell Atlas“. In mehreren Studien berichten Fachleute nun von Fortschritten des Projekts. Sie haben in den Proben verschiedener Organe und Gewebe über eine Million Zellen analysiert und katalogisiert.

Expertinnen und Experten erhoffen sich mit dem „Human Cell Atlas“ jene Faktoren besser zu verstehen, die zur allgemeinen Gesundheit beitragen. Gleichzeitig wollen sie mit dem im Jahr 2016 gestarteten Zellatlas-Projekt die Diagnose und Behandlung zahlreicher Krankheiten verbessern.

Wie wichtig Informationen aus dem menschlichen Zellatlas sein können, hat Sarah Teichmann, eine der Initiatorinnen des Projekts, schon in den Anfängen der CoV-Pandemie gezeigt. Zusammen mit einem Forschungsteam hat sie nachgewiesen, wo die Rezeptoren liegen, mit denen sich das Coronavirus Zutritt zum menschlichen Körper verschafft. Das Resultat: der COVID-19 Cell Atlas und die Erkenntnis, vor allem Nase, Augen und Mund vor dem Virus zu schützen.

500 Zelltypen

Einige Kataloge der menschlichen Zellen wurden bereits angefertigt – bisher stammten diese aber meist aus Proben einzelner Organe oder Gewebe. Laut einem Bericht der Biochemiker Zemin Zhang und Zedao Liu von der Universität Peking seien aber Daten aus unterschiedlichen Organen und Geweben nötig. Nur so könnten Expertinnen und Experten mit dem Atlas künftig ein klares Bild davon bekommen, wie die Zellen an unterschiedlichen Orten funktionieren und wie sie sich auf bestimmte Aufgaben spezialisieren.

Auch das Forschungsteam hinter dem „Human Cell Atlas“-Projekt waren dieser Meinung und präsentieren aktuell im Fachjournal „Science“ vier umfangreiche Studien. Darin gelang den internationalen Teams das Erstellen detaillierter Karten von insgesamt mehr als einer Million einzelner Zellen im menschlichen Körper. Die Proben stammten dabei aus 33 Organen von knapp 70 Individuen und enthielten insgesamt rund 500 einzelne Zelltypen. Laut den Autorinnen und Autoren handelt es sich um die bis dato umfassendste Katalogisierung der menschlichen Zellen aus unterschiedlichen Organ- und Gewebsproben.

Welche Zellen in welchen Organen vorkommen

Katalog verschiedener Immunzellen

Zwei der in „Science“ präsentierten Studien setzen sich näher mit dem menschlichen Immunsystem auseinander. Forscherinnen und Forscher des Wellcome-Sanger-Instituts und der Universität Cambridge untersuchten in der ersten Studie Immunzellen in ihrer frühen Entwicklung in pränatalen Proben und katalogisierten sie in neun Organen. Dieser Immunatlas aus der frühen Entwicklungsphase könne künftig dazu beitragen, Immun- und Blutkrankheiten besser zu verstehen und wirksamere Medikamente dagegen zu entwickeln, erklärt die an der Studie beteiligte Dermatologin Haniffa Muzlifah.

In der zweiten Studie untersuchten die Fachleute die Wirkung von Immunzellen in den Proben erwachsener Organspenderinnen und -spender. Dafür erstellten sie eine Datenbank, die mithilfe eines Algorithmus verschiedene Zelltypen automatisch erkennt und so das Sammeln großer Datenmengen erleichtert. Die Forscherinnen und Forscher fanden klare Hinweise darauf, dass sich eigentlich gleiche Immunzellen teilweise verändern, sobald sie in einem anderen Organ vorkommen. Mit der Datenbank sei es daher in Zukunft möglich, diese Unterschiede besser zu erforschen und so wiederum die Entwicklung von Medikamenten gegen Immunkrankheiten voranzutreiben.

Technischer Fortschritt ausschlaggebend

Die neuen Erkenntnisse zum Immunsystem seien erst durch den technischen Fortschritt der letzten Jahre möglich geworden, wie die beteiligten Fachleute bei einer Präsentation der Studienergebnisse erklärten. Um jedoch künftig wirklich alle Zellen für den menschlichen Zellatlas zu katalogisieren, brauche es eine extrem große Menge an Gewebs- und Organproben verschiedener Personen.

Darin lag bisher aber ein Problem, denn die große Anzahl an Proben mache es unmöglich, sie alle gleich nach der Entnahme zu untersuchen. Viele müssen direkt eingefroren werden. Gängige Methoden, um die Zellen zu untersuchen, seien bei gefrorenen Proben aber weniger wirksam.

Funktioniert auch bei gefrorenen Proben

In der dritten Studie zum menschlichen Zellatlas stellen Forscherinnen und Forscher des Broad Instituts nun eine Methode vor, die auch nach dem Einfrieren der Proben funktioniert. Sie haben ihre Untersuchung nicht auf die gesamte Zelle, sondern auf den robusteren Zellkern konzentriert. So konnten sie Informationen zu rund 200.000 Zellen aus gefrorenen Proben sammeln – mit dem Ziel, mehr über vererbbare Krankheiten wie etwa Herzprobleme zu erfahren und die dafür verantwortlichen Gengruppen im Körper ausfindig zu machen.

Übersicht über Zellen, die in verschiedenen menschlichen Organen vorkommen
Aviv Regev, Anna Hupalowska, Human Cell Atlas
Übersicht über Zellen, die in verschiedenen menschlichen Organen vorkommen

Der daraus entstandene Katalog soll eine Grundlage für weitere Untersuchungen sein, in denen die Zelltypen, die mit genetischen Erkrankungen in Verbindung stehen, exakt bestimmt werden. Die Methode, auch aus gefrorenen Proben umfangreiche Daten zu gewinnen, sei außerdem ein Fortschritt für die gesamte Erforschung des menschlichen Zellatlas.

Analyse von 500.000 Zellen

In der vierten Studie rund um das „Human Cell Atlas“-Projekt untersuchten und katalogisierten Fachleute des Chan Zuckerberg Biohub die Zellen aus mehreren Organen derselben Spender. Dadurch war es ihnen möglich, die Zellen zwischen den verschiedenen Gewebsproben besonders gut zu vergleichen und umfangreiche Informationen zu über 400 Zelltypen aus 24 Organen zu bekommen. Insgesamt analysierte das Team dafür knapp 500.000 lebende Zellen. Die daraus entstandene Datenbank trägt den Namen “Tabula sapiens“ und ist laut den Forscherinnen und Forschern eine weitere wichtige Grundlage für zahlreiche Erkenntnisse zur Biologie des Menschen.

Meilenstein für Zellatlas

Relevanz hätten die vier Studien unter anderem in der Medizin. Stephen Quake, einer der Leiter des Chan Zuckerberg Biohub-Netzwerks, erklärte bei der Präsentation der Ergebnisse: „Viele Medikamente wirken sich nicht nur auf die beabsichtigten Zellen aus, sondern auch auf gleiche Zellen in anderen Organen.“ Besser zu verstehen, welche Zellen im menschlichen Körper auf die gleichen Arzneien reagieren, sei ein wichtiger Beitrag zu besseren Behandlungsmöglichkeiten in vielen medizinischen Bereichen.

Sarah Teichmann, eine der Initiatorinnen des Projekts, spricht von einem Meilenstein. Die Ergebnisse der vier Studien zusammen seien ein weiterer Schritt hin zu einem vollständigen Atlas der menschlichen Zellen.