Dohlen auf einem Baum, Vögel
Alex Thornton
Alex Thornton
Massenstart

Dohlen entscheiden demokratisch über Abflug

Bevor Dohlen die Bäume verlassen, auf denen sie die Nacht verbracht haben, entscheiden sie basisdemokratisch darüber, wann der ideale Zeitpunkt zum gemeinsamen Abflug ist. Mit lauten Rufen kann jeder Vogel seine Stimme abgeben, wie eine neue Studie zeigt.

In Gruppen von Hunderten Vögeln verbringen Dohlen die Nacht auf Bäumen. Etwa eine Stunde bevor sie in der Morgendämmerung gemeinsam abheben und in einem riesigen Schwarm davonfliegen, beginnen sie laut zu rufen. Um zu erforschen, wie die Dohlen den Zeitpunkt des Massenstarts festlegen, erstellte ein Forschungsteam stundenlange Audio- und Videoaufnahmen von sechs verschiedenen Schlafplätzen der Vögel im englischen Cornwall.

Zwischen 160 und 1.500 Dohlen übernachteten jeweils gemeinsam an einem Ort. Die Studie unter Leitung der Universität Exeter wurde nun im Fachjournal „Current Biology“ veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Dohlen in einem „demokratischen“ Entscheidungsprozess festlegen, wann sie abfliegen – nämlich dann, wenn die Intensität der Rufe ein bestimmtes Niveau erreicht.

Gemeinsamer Abflug hat Vorteile

Es sei höchst unwahrscheinlich, dass all Vögel von Natur aus genau im selben Moment abheben möchten. „Durch ihre Rufe scheinen Dohlen ihre Bereitschaft zu signalisieren, den Schlafplatz zu verlassen“, heißt es in der Studie. Die Rufintensität diene als „zuverlässige Informationsquelle“, die es den Vögeln ermöglicht, ihre täglichen Massenstarts zu synchronisieren.

„Nachdem sie sich nachts in einer großen Gruppe niedergelassen haben, wird jede Dohle aufgrund von Faktoren wie ihrer Größe und ihrem Hunger eine etwas andere Vorliebe haben, wann sie weiterfliegen möchte“, so Erstautor Alex Dibnah von der Universität Exeter. Einen Konsens zu erzielen, sei für die Dohlen aber sinnvoll, denn die Schwarmbildung habe Vorteile, etwa die Verringerung des Risikos von Raubtieren angegriffen zu werden und den leichteren Zugang zu Informationen, wo Nahrung zu finden ist.

Playback mit Dohlenrufen

Um Ursache und Wirkung zu erforschen, spielte das Team, an dem auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Cambridge und des Centre for Ecological Research and Forestry Applications (CREAF) in Barcelona beteiligt waren, zuvor aufgenommene Dohlenrufe ab. Dadurch wollte es herausfinden, ob sie die Vögel dazu bringen können, früher abzuheben – mit dem Ergebnis: Durch das Abspielen von zusätzlichen Rufen flogen die Dohlen durchschnittlich etwa 6,5 ​​Minuten früher ab.

Das Abspielen von anderen Geräuschen, etwa von Windrauschen, führte hingegen nicht zu vorzeitigen Massenstarts. Das zeige, dass die Vögel speziell auf die Rufe ihrer Artgenossen reagieren und nicht auf Lärm im Allgemeinen. Bemerkenswert sei auch, dass die Dohlen ihren Schlafplatz nicht immer mit einem Massenstart verließen: Wenn die Intensität der Rufe nicht ausreichend anstieg, konnte kein Konsens gefunden werden – und die Vögel flogen einzeln und in kleinen Gruppen davon.

Lärmbelästigung durch den Menschen

Schon vorherige Studien untersuchten Konsensentscheidungen in Tiergruppen, erklärt Alex Thornton vom Zentrum für Ökologie und Naturschutz der Universität Exeter die umfassendere Bedeutung der Forschung. Diese Gruppen seien aber relativ klein gewesen oder bestanden nur aus Mitgliedern einer Familie. Bei den Dohlen fiel dem Forschungsteam vor allem die enorme Größe auf.

Dohlen auf einem Baum, Vögel
Jolle Jolles

Die Forschung biete neue Einblicke in die Art und Weise, wie Tiere Entscheidungen treffen, so Thornton: „Sie hilft uns zu verstehen, wie wirklich große Tiergruppen ihre Aktionen koordinieren können – etwas, das bisher selten im Detail getestet wurde." Die Studie liefere weitere Belege dafür, dass Laute bei einigen Arten grundlegend für Gruppenentscheidungen sind.

Weil die Auswirkungen der Zivilisation auf die Tierwelt zunehmen, will das Forschungsteam nun untersuchen, ob und wie Lärmbelästigung und auch Lichtverschmutzung durch den Menschen die Fähigkeit die Kommunikation von Tiergruppen beeinträchtigt.