Giraffe
ASSOCIATED PRESS
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Evolution

Kampf um Partner veränderte Giraffenhals

Nicht nur die spärliche Nahrung auf dem Savannenboden ist laut neuen Erkenntnissen für das einzigartige Aussehen von Giraffen verantwortlich. Den ungewöhnlichen Hals verdanken die Tiere wahrscheinlich auch der Rivalität um potenzielle Sexualpartner, wie eine Studie zeigt.

Giraffen sind die größten Landlebewesen der Erde, ihr Körperbau ist im Tierreich einzigartig. Lange galt der Giraffenhals als Musterbeispiel für die Evolution und die Anpassung einer Tierart an ihre Umgebung – schon Charles Darwin meinte, dass die extreme Halslänge den Tieren wahrscheinlich vor allem dazu diene, an mehr Blätter in den Baumkronen zu kommen.

Das ist laut dem Paläontologen Shi-Qui Wang von der chinesischen Akademie der Wissenschaften zwar durchaus der Fall, gegenüber science.ORF.at erklärt er aber: „Bei der Entwicklung der Giraffen spielen neben der Nahrungssuche auch andere Faktoren eine Rolle. Die Evolution war komplexer als viele vermuten.“

Dickköpfige Giraffenvorfahren

Zu diesem Schluss kam Wang, nachdem er mit einem internationalen Forschungsteam die Überreste eines bisher unbekannten Vorfahren heutiger Giraffen genauer untersuchen konnte. Die Forscherinnen und Forscher nennen die Spezies, die in der Periode des Miozäns im heutigen Norden Chinas gelebt hat, Discokeryx xiezhi. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung präsentieren sie derzeit im Fachjournal „Science“.

Die Fossile der Giraffenvorfahren sind ungefähr 17 Millionen Jahre alt. Überreste des Schädels und der Wirbel deuten darauf hin, dass die Tiere einen besonders resistenten Kopf hatten. Die Forscherinnen und Forscher fanden Hinweise auf einen knöchernen Kopfschutz, vergleichbar mit einem Helm. Außerdem hatten die Tiere scheinbar eine sehr komplexe und widerstandsfähige Verbindung zwischen ihrem Hals und ihrer Wirbelsäule.

Kopfstoßkönig unter Wirbeltieren

Anhand der gefundenen Fossile glauben die Forscherinnen und Forscher, den Kopfstoßkönig unter den bisher bekannten Wirbeltieren gefunden zu haben. Kaum ein anderes Tierskelett sei so gut für Kämpfe mit heftigen Kopfstößen optimiert. Die spezielle Kopf-Wirbel-Verbindung habe es den Tieren erlaubt, sehr viel Aufprallenergie zu absorbieren, der knöcherne Helm am Schädel sorgte für zusätzlichen Schutz.

Die körperlichen Voraussetzungen waren für die Giraffenvorfahren unter anderem auf der Suche nach Sexualpartnern relevant, so Wang. Männchen mussten Rivalen, die um die Gunst derselben Partnerin warben, wahrscheinlich durch starke Kopfstöße vertreiben. Ein Verhalten, das auch heutige Giraffen manchmal zeigen.

Eigene Nische im Tierreich

Mit unzureichender Nahrung hatte die neu entdeckte Spezies laut Wang wahrscheinlich nicht zu kämpfen. Darauf deuten Untersuchungen von Zahnüberresten hin. Einen besonders langen Hals hatten die Giraffenvorfahren damals zwar noch nicht, sie fanden laut Wang aber noch genug Gras an Orten, an denen wenig andere Tiere fressen konnten.

Die besondere Schädel- und Wirbelform von Discokeryx xiezhi unterscheide sich aber auch in einigen Punkten von anderen gefundenen Spezies, die als Vorfahren der Giraffen gelten. Wang geht daher davon aus, dass sich die Tiere ständig weiterentwickelt und verändert haben, um immer eine eigene Nische bei der Nahrungssuche zu finden und stärkeren Tieren beim Kampf um Essbares zu entgehen.

Komplexe Evolution

Blätter in den Baumkronen zu erreichen, ist laut Wang daher auf jeden Fall einer der Gründe für den langen Hals heutiger Giraffen. Trotzdem dürfen auch andere Faktoren, die das Aussehen der Tiere maßgeblich mitbestimmt haben, nicht außer Acht gelassen werden. Die durch die Kopfstöße gestärkten Wirbel und einzigartige Kopfform der Giraffenvorfahren habe bei der Evolution des langen Halses demnach ebenfalls eine Rolle gespielt.

Dass aber mit einem veränderten Aussehen auch andere Verhaltensweisen bei den Tieren auftreten, zeige die Untersuchung laut Wang ebenfalls. Anstatt nur noch mit dem Kopf zu kämpfen, zeigen heutige Giraffen ihre Dominanz über Rivalen oft durch das Aneinanderschlagen ihrer langen Hälse.