Hühnerfarm in Frankreich
AFP/JEAN-FRANCOIS MONIER
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Analyse

Wie das Huhn zum Haustier wurde

Mehr als 20 Milliarden Hühner leben heute gleichzeitig auf der Erde. Wo und wann genau die Laufvögel zu Haus- und Nutztieren wurden, ist umstritten. Eine interdisziplinäre Analyse legt nun nahe: Es geschah vor mehr als 3.000 Jahren in Thailand, damals begann man in der Gegend auch Reis zu kultivieren.

Heute ist die Erde ein Planet der Hühner: Zahlenmäßig sind sie allen anderen Vögeln überlegen, unter den Nutztieren sind sie mit Abstand die Nummer eins. Ihr Fleisch gilt als gesund und ist relativ günstig, außerdem legen sie Eier. Den Tieren selbst bringt das nicht viel. Ihr Leben in der Massentierhaltung ist meist kurz und traurig.

Wo und unter welchen Umständen aus den wilden Vorläufern das heute allgegenwärtige Haushuhn wurde, war bisher unklar. Wie die Forscherinnen und Forscher um Joris Peters von der Ludwig-Maximilians-Universität München in ihrer soeben im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienenen Arbeit schreiben, liegt das unter anderem am relativen Mangel an archäologischen Überresten: Die feinen Hühnerknochen sind schwer zu finden, oft kaum von jenen ihrer wilden Verwandten zu unterscheiden und sie werden mitunter von Aasfressern vertragen.

Was man heute mit relativer Sicherheit wisse: Das Haushuhn stammt vom wildlebenden Bankivahuhn ab, vermutlich von der Unterart Gallus gallus spadiceus, dem Burma-Bankivahuhn, das heute unter anderem in Myanmar und in Thailand lebt. Das passt zu einer der gängigen Theorien, wonach die Domestizierung in Südostasien oder im Süden Indiens begonnen hat. Eine alternative These vermutet die Ursprünge in Nordchina.

Umfangreiche Neubewertung

Für die aktuelle Studie hat das Team Funde von mehr als 600 Ausgrabungsstätten in 89 Ländern auf der ganzen Welt einer Neubewertung unterzogen. Dabei wurden Daten aus unterschiedlichen Fachrichtungen verwendet, neben naturwissenschaftlichen Analysen wurden unter anderem auch historische Aufzeichnungen und linguistische Entwicklungen herangezogen. Auch Kenntnisse über die jeweiligen Gesellschaften und ihre Wirtschaftsformen flossen ein.

Das Ergebnis: Die frühesten Überreste, die eindeutig domestizierten Hühnern zuzuordnen sind, stammen von der jungsteinzeitlichen Grabungsstätte Ban Non Wat in Thailand, datiert wurden sie auf den Zeitraum zwischen 1650 und 1250 vor unserer Zeitrechnung.

Bei vielen der frühen Überreste aus Indien handle es sich hingegen oft um fehlerhafte Zuschreibungen, vermutlich stammen sie meist von wilden Vögeln, schreiben die Forscherinnen und Forscher. Ähnliches gelte für viele Funde aus China, frühere Annahmen gingen davon aus, dass es dort schon vor 10.000 Jahren Haushühner gegeben haben könnte. Nach der Neubewertung stammt der älteste gesicherte Fund erst aus der Shang-Dynastie (1350 bis 1046 v. Chr.). In Japan und Korea sind Hühner vermutlich noch später erstmals als Nutztiere gehalten worden, wahrscheinlich ungefähr zu Beginn unserer Zeitrechnung.

Von Asien um die Welt

Von Asien aus hat sich die Hühnerhaltung anschließend um den ganzen Globus verbreitet, wobei sie nach der neuen Analyse vielerorts erst viel später angekommen ist als bisher angenommen, beispielsweise um etwa 1000 v. Chr. in Mesopotamien und in der Levante, in Ägypten etwa 500 Jahre später.

Huhn auf einem Geflügelbauerhof in Bayern
APA/dpa/Daniel Karmann
Nicht alle Haushühner leben heute in einer natürlichen Umgebung

Die ältesten Hühnerüberreste in Europa stammen von einer griechischen Kolonie in Italien (776 bis 540 v. Chr.). Der Handel zwischen dem Mittelmeer-Raum und keltischen Gemeinschaften brachte die Hühner dann immer weiter Richtung Norden. Im Donau-Raum und im Südosten Englands waren sie schon ungefähr im fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zu finden. Schweden und die baltischen Staaten erreichten sie erst 1.000 Jahre später.

Angelockt durch Getreide

Verglichen mit anderen Haustieren ist die Hühnerhaltung ein relativ junges Phänomen. Ausschlaggebend für die Domestizierung waren nach Ansicht der Studienautoren und -autorinnen landwirtschaftliche Entwicklungen: Vermutlich habe zu Beginn der Anbau von Reis und Hirse das wilde Geflügel angelockt. Je mehr Getreide verfügbar war, desto größer konnten auch die Hühnergemeinschaften werden, die sich in den menschlichen Ansiedelungen niederließen. Aus den wildlebenden Vögeln wurden so nach und nach Nutztiere.

Dass die Haushühner nicht primär wegen ihres Fleisches gehalten wurden, zeigt auch ihre Geschichte in Europa. Knochenanalysen legen nahe, dass die Tiere hier jahrhundertelang nur verehrt und nicht verzehrt wurden. Das Geflügel taucht vor allem in noblen Haushalten, in Heiligtümern oder bei Elitebegräbnissen auf. Auch später galt das Fleisch lange als Luxusgut, das vor allem dem Adel vorbehalten war. Wirklich billig wurde Hühnerfleisch erst durch die Massentierhaltung. Mit seinen wilden Vorfahren hat das heute allgegenwärtige hochgezüchtete Haushuhn nicht mehr viel gemein.