James Free, Leiter des Mond-Raumfahrtsprogramms der NASA
ÖAW/Ludwig Schedl
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Raumfahrt

„2025 fliegt die erste Frau zum Mond“

Die Raumfahrtagentur NASA arbeitet auf Hochtouren an einer neuen bemannten Mondmission. Wobei „bemannt“ nicht ganz der richtige Begriff ist: Es werden nämlich mit Sicherheit auch Frauen zum Mond fliegen. Die Crew soll bereits in drei Jahren abheben – so lautet der Plan von James Free, Chef der NASA-Mondmission Artemis.

science.ORF.at: Herr Free, wie lautet der aktuelle Zeitplan des Artemis-Programms?

James Free: Die Mission unterteilt sich in mehrere Etappen, Artemis 1 wird hoffentlich diesen August beginnen. Hier geht es vor allem um den ersten Start unserer Trägerrakete – davor müssen wir noch einige Tests durchführen, um zu verstehen, wie sich die Rakete verhält. Und natürlich auch, wie sich das Raumschiff für die Crew in der Praxis verhält. Vor allem der Hitzeschild für den Wiedereintritt in die Atmosphäre ist da wichtig. Im Rahmen von Artemis 2 schicken wir dann eine Besatzung auf einen Rundflug um den Mond. Und 2025, im dritten Teil der Mission, ist die erste Landung vorgesehen: Dann werden die erste Frau und die erste Person of Color die Oberfläche des Mondes betreten.

Derzeit sind je neun Frauen und Männer als potenzielle Crew-Mitglieder ausgewählt: Weiß man schon, wie viele tatsächlich zum Mond fliegen?

Bei Artemis 2 werden vier Leute den Mond umrunden. Bei Artemis 3 sind ebenfalls vier Leute unterwegs, zwei davon werden auch den Mond betreten. Wenn wir einmal größere Transportkapseln zur Verfügung haben, können wohl auch alle vier runter auf die Oberfläche.

Wer wird den ersten Schritt setzen – so wie Neil Armstrong 1969?

Wer als erstes den Boden berührt, ist noch nicht klar. Sicher ist: Es werden auch Fußbadrücke von Frauen dabei sein.

Wieviel Geld würden Sie wetten, dass die NASA den Zeitplan bis 2025 einhält?

Ich würde nicht darauf wetten, aber eines kann ich Ihnen sagen: Es gibt ein paar Leute in den USA, Europa und Japan, die jeden einzelnen Tag mit Hingabe daran arbeiten, dass wir dorthin kommen. Und zwar so sicher wie möglich. Ich denke jeden Tag an den Fahrplan, denn ich denke, wir befinden uns gerade in einem Zeitfenster, wo mit Unterstützung von Regierungen aus aller Welt so eine Rückkehr zum Mond möglich ist. Wir müssen das so schnell wie möglich verwirklichen – doch das Wichtigste bleibt die Sicherheit der Crew.

James Free, Leiter des Mond-Raumfahrtsprogramms der NASA, bei einem Vortrag an der Akademie der Wissenschaften in Wien
ÖAW/Ludwig Schedl
Diese Woche hielt James Free an der Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über die bemannte und robotergestützte Exploration des Mondes.

Ich weiß nicht, ob Donald Trump ein großer Anhänger der Grundlagenforschung ist, aber für die Mission Artemis war er wichtig, oder?

Das war er, ja. Wichtig war ebenso die Tatsache, dass die NASA den Fokus beim Übergang von der Trump- zur Biden-Administration beibehalten konnte. So etwas habe ich bei meiner 30-jährigen Karriere noch nicht erlebt. Ich will, dass mein Team das Ziel weiterhin hartnäckig verfolgt – auch um zu verhindern, dass wir ein Spielball politischer Einflüsse werden könnten.

Stimmt es, dass Trump ursprünglich Menschen zum Mars schicken wollte und als er realisierte, dass das während seiner Amtszeit nicht möglich war, sagte er: Dann eben zum Mond?

Was Trump ursprünglich dachte, weiß ich nicht. Der Mond hat jedenfalls Vorteile: Denn dort können wir all unsere Gerätschaften nahe der Erde – oder sagen wir so: näher zur Erde testen. Und wir können dabei auch etwas über den Betrieb der Geräte auf dem Mars lernen.

Bis 2025 sind noch einige Hürden zu überwinden, die Trägerrakete SLS ist noch nicht fertig, das Raumschiff Orion ebenfalls noch nicht. Und dann ist da noch die große Frage: Hält das Budget?

Stimmt, sowohl bei SLS als auch bei Orion sind noch Tests notwendig. So gesehen gebe ich Ihnen recht: Für den Start sind wir noch nicht bereit. Es gibt eine enorme Menge an Hardware, die gerade gebaut wird. Derzeit wird das dritte Orion-Raumschiff in Florida gefertigt. SLS Nummer zwei und drei sind ebenfalls in Fertigung. In drei Wochen sehe ich in Bremen das europäische Service-Modul, das Grundgerüst für Service-Modul Nummer vier wird derzeit in Italien gebaut. Und was das Budget betrifft, lautet meine Philosophie: Der einfachste Weg, um Budget-Diskussionen zu vermeiden, ist Erfolg.

China plant ebenso eine bemannte Mondmission, die Landung soll Ende des Jahrzehnts erfolgen. Ist das ein Faktor für Sie?

Um ehrlich zu sein: Ich bin da auch nur aus Medienberichten informiert. Mein Job ist es, zu liefern. Wenn ich anfange, mir Sorgen darüber zu machen, was andere tun, dann verliere ich meinen Fokus.

Wenn man einmal vom Motiv der Machbarkeit absieht: Warum kehrt die NASA auf den Mond zurück?

Dies wird eine Mission im Dienste der Wissenschaft sein, sowohl auf der Oberfläche als auch im Orbit. Diesmal fliegen wir an einen anderen Ort, nämlich zum Südpol des Mondes, wo es, wie wir vermuten, eine Menge Ressourcen gibt, die eine langfristige Präsenz auf dem Mond ermöglichen würden. Oder, wie es einer meiner NASA-Kollegen ausgedrückt hat: Bei der Apollo-Mission wurde den Astronauten ein Stock und eine Schaufel in die Hand gedrückt – und dann gesagt: Und jetzt macht mal Wissenschaft. Diesmal gehen wir einen anderen Weg. Was wir alles tun müssen und werden, wurde schon im Vorhinein durchdacht, unter anderem von Fachleuten der US- Wissenschaftsakademie.

Was wollen Sie zum Beispiel herausfinden?

Wir würden gerne wissen: Wieviel Wassereis befindet sich dort? Welche Stoffe enthält es, ist es kontaminiert? Und wie können wir damit unsere Crews versorgen?

Dies deshalb, weil der Mond eine Basis für spätere Flüge zum Mars sein könnte?

Das ist noch nicht im Zentrum unserer Planungen. Woran wir momentan arbeiten, ist eine nachhaltige Präsenz auf dem Mond. Wir müssen herausfinden, wie unsere Systeme unter diesen Schwerkraftbedingungen funktionieren. Und wir müssen eine Energieversorgung entwickeln, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet – dieses System könnten wir später auch auf dem Mars verwenden.

„Nachhaltig“ bedeutet: dass sich Astronauten und Astronautinnen langfristig auf dem Mond aufhalten?

Wir wollen unsere Leute für 30 Tage in einer Mondbasis unterbringen. „Nachhaltig“ bezieht sich auch auf die Infrastruktur, die nicht nur von der NASA, sondern auch von internationalen Partnern oder Firmen stammt. Wir müssen uns dort nicht dauerhaft aufhalten. Aber vielleicht gibt es andere, die diese Basis ebenso nützen wollen. Bis 2030 wollen wir vier Crews für 30 Tage unterbringen.

Wann könnte ein bemannter Flug zum Mars folgen?

Mein Ziel ist, das bis Ende der 2030er zu verwirklichen.

Was eine völlig andere Aufgabenstellung wäre, allein aufgrund der Distanz.

Genau, der kürzeste Flug zum Mars würde immer noch 210 Tage dauern. Wobei wir noch nicht wissen, wie wir die Astronauten vor der kosmischen Strahlung abschirmen sollen. Sie passiv abzuschirmen – etwa durch Wassertanks – wäre möglich, aber dann müssten wir ungeheure Massen in den Weltraum befördern. Und die Technologie einer aktiven Abschirmung gibt es noch nicht. Das Problem betrifft übrigens nicht nur die Astronauten, sondern auch die mitgeführte Nahrung. Kosmische Strahlung kann auch Nährstoffe zerstören.

Ein Argument gegen solch aufwändige Missionen lautet: Wozu sollten wir zum Mars fliegen, wenn wir noch nicht einmal den Klimawandel hier auf der Erde aufhalten können?

Die wissenschaftliche Antwort lautet: Wir können vom Weltraum aus auch das Magnetfeld sowie das Weltraumwetter der Erde untersuchen und herausfinden, wie sie unser Klima beeinflussen. Die Geschichte des Mars zeigt uns auch, wie die Geschichte unseres Planeten verlaufen könnte. Und dann gibt es noch den Pioniergeist, die für die Menschheit so wichtige Frage: Wo ist dieses etwas, das wir noch nicht sehen können?

Die Beantwortung der Frage könnte Rückwirkung auf unseren Planeten haben?

So hoffe ich zumindest. Ich war dabei, als Matthias Maurer erstmals als Astronaut vorgestellt wurde, und ich habe miterlebt, welche Begeisterung das in Deutschland ausgelöst hat. Diesen Spirit sehe ich auch bei Thomas Pesquet in Frankreich. Wenn ich zu Veranstaltungen mit Astronauten gehen, dann will niemand mit den federführenden NASA-Typen reden. Die Menschen interessieren sich für die Astronauten. Das ist es, was ich mit Pioniergeist meine.