Mehrer Bitcoins als Münzen dargestellt in einer Reihe
AFP – Justin Tallis
AFP – Justin Tallis
Ökonomie

Auch Bitcoin „menschelt“

Anonymes Bargeld, das auf objektiver Technik beruht und nicht auf menschlichem Verhalten: Das will Bitcoin sein. Doch eine neue Studie zeigt, dass die Kryptowährung zu Beginn stark vom Altruismus der ersten User abhing und dass einige wenige von ihnen sehr mächtig waren. Kurz gesagt: Auch Bitcoin „menschelt“.

Wie Bitcoins funktionieren, ist für Außenstehende noch immer recht schwierig zu durchschauen. In den Schlagzeilen dominieren zumeist negative Aspekte – zuletzt etwa, als das Land Kärnten erpresst wurde und fünf Millionen Dollar in Bitcoin zahlen hätte sollen. Dass sich Kriminelle von der Kryptowährung angezogen fühlen, ist dagegen kein Wunder. Anonyme oder pseudonyme Handlungen sind dem System von Beginn an eingeschrieben.

Um sie zu ermöglichen, setzten die Schöpfer auf technische Lösungen. Sie wollten den Zahlungsverkehr enthierarchisieren und demokratisieren. Kryptos wollen Geld nicht wie bei konventionellen Währungen mittels Zentralbanken und Münzämtern in Umlauf bringen, sondern dezentral durch die Rechenleistung gleichberechtigter Computer.

Kein Vertrauen in Vertrauen

Als Kernproblem des üblichen Geldes erachteten die Bitcoin-Schöpfer dabei eine sehr menschliche Eigenschaft: Vertrauen. „Der Zentralbank muss vertraut werden, dass sie die Währung nicht entwertet, doch die Geschichte des Fiatgeldes ist voll von Verrat an diesem Vertrauen“, heißt es in einem der Bitcoin-Urdokumente. Damit Enttäuschungen dieser Art nicht mehr vorkommen, sollte eine elektronische Währung her, „die auf einem kryptografischen Beweis beruht und kein Vertrauen in Mittelsmänner benötigt“.

Dass Vertrauen speziell in der Gründungsphase von Bitcoin aber eine zentrale Rolle spielte, zeigt eine neue Studie, die ein Team um die Datenforscherin Alyssa Blackburn vom Aidan Lab des Baylor College of Medicine in Houston durchgeführt hat. Die als Preprint erschienene, also noch nicht von der Fachgemeinde komplett begutachtete Arbeit widerspricht einer Reihe von Mythen der Fans von Kryptowährungen.

„Bitcoin 64“: Große Machtkonzentration

Allem voran dem Glauben, dass die Schaffung von und Transaktionen mit Bitcoins anonym verlaufen. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten Leaks von der zentralen Bitcoin-Datenbank (blockchain) aus den ersten zwei Jahren ihres Bestehens – ab Jänner 2009. Aus den rund 320 Gigabyte Daten konnten sie schließen, wer am Erstellen der ersten Bitcoins – im Jargon „Schürfen“ genannt – beteiligt war. Entgegen der Selbstbeschreibung war die Macht der frühen Schürfer äußerst ungleich verteilt – und alles andere als dezentral. Nur 64 Einzelpersonen waren in dieser Frühphase für den Großteil der Handlungen verantwortlich.

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Vor Kurzem hat sich die Zeitschrift „Kurswechsel“ dem Thema gewidmet. Beat Weber hat dazu das Vorwort „Digitale Marktromantik: Von Bitcoin zur Krypto-Ökonomie?“ verfasst.

„Diese Machtkonzentration ist nicht sonderlich überraschend. Das Originelle der Studie ist aber, dass sie Namen nennt“, kommentiert Beat Weber, Kryptoexperte und Ökonom an der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Zwei Namen werden konkret genannt, beides verurteilte Kriminelle – auch die anderen der „Bitcoin 64“ könnte das Team um Blackburn enttarnen. „Da unser Ziel war, sozioökonomisches Verhalten zu untersuchen und nicht handelnde Personen aufzudecken, nennen wir keine weiteren Identitäten“, heißt es in der Studie. Die Methode könnten aber Polizei und andere Behörden anwenden, kommentiert die „New York Times“.

Altruismus der frühen „Könige“

Jedenfalls haben in der Frühphase von Bitcoin „nur sehr wenige Menschen die Krone getragen“, wie es Blackburn in dem Zeitungsartikel ausdrückt, und „das entspricht nicht dem Ethos von dezentralisiertem Krypto, das ohne Vertrauen auskommt“. Das zeigt auch eine weitere Erkenntnis der Studie: Gar nicht selten dominierten Bitcoin zu Beginn ein oder zwei Personen, die diese Position zu ihrem Vorteil ausnützen hätten können. Mittels einer 51-Prozent-Attacke hätten sie die Bitcoin-Datenbank beliebig verändern und etwa Bitcoins für mehrere Transaktionen verwenden können.

Die „Könige“ der Bitcoin-Frühphase haben aber genau das nicht getan – sie haben sich altruistisch verhalten und ihre Macht nicht ausgenutzt. Damit bestätigen sie Ergebnisse der experimentellen Ökonomie – spieltheoretische Simulationen zeigen, wie sich Menschen in bestimmten Entscheidungssituationen verhalten. Solche Experimente führte Christoph Huber von der Wirtschaftsuniversität Wien für die aktuelle Studie durch.

Die größte Bitcoin-Schürfanlage steht in Rockdale, Texas
APA/AFP/Mark Felix
Die größte Bitcoin-Schürfanlage Nordamerikas steht in Rockdale, Texas

„Geld ist immer soziales Phänomen“

„Obwohl Bitcoin als dezentralisiertes Netzwerk anonymer Personen, zwischen denen Vertrauen keine Rolle spielt, errichtet wurde, beruhte sein früher Erfolg auf der Zusammenarbeit einer kleinen Gruppe altruistischer Gründer“, fasst es die Studie zusammen.

Den OeNB-Ökonomen Weber überrascht das nicht. Er hält die von Kryptofans propagierte Absage an menschliches Verhalten – auf den Punkt gebracht im Slogan „In code we trust“ – für ein technizistisches Selbstmissverständnis. „Geld ist niemals nur ein Natur- oder Technikphänomen, sondern immer ein soziales. Es funktioniert nur, wenn Leute beteiligt sind – und Menschen so sind, wie sie sind. In dem Projekt menschelt es so wie in jedem anderen.“

Vertrauen in menschliches Verhalten von Unbekannten bleibe unumgänglich für das Funktionieren von Krypto, fügt Weber hinzu. Und: „Dezentralisierung im Sinne der Aufteilung einer technischen Aufgabe auf mehrere konkurrierende Computer bedeutet nicht Gleichverteilung oder Abwesenheit von Macht. Sie hat auch nichts mit demokratischen Stimmrechten von Menschen zu tun.“

Spekulationsobjekt, kein Geld

Bitcoin und andere Kryptowährungen sind trotz Dezentralisierung bis heute hochkonzentrierte Gebilde, bei denen es von Vorteil ist, groß zu sein. Riesige Serverfarmen, die neue Bitcoins schürfen, sind entstanden und wandern je nach politischen Vorgaben um die Welt. Das lange führende China hat das Schürfen verboten, nun wird viel in Russland und Kasachstan produziert. Da wie dort entstehen enorme Umweltkosten, da der Betrieb der Computer sehr viel Energie beansprucht.

Bleibt die Frage, was Bitcoins und Co. überhaupt sind: In der Eigenwahrnehmung ihrer Schöpfer und Fans handelt es sich um Geld und eine Währung. Der OeNB-Ökonom Weber hält dagegen: „Wenn man sich darauf einigt, was Geld sein soll – ein halbwegs stabiler Wertmaßstab, mit dem man berechnen kann, was billig und teuer ist; ein überall einsetzbares Zahlungsmittel und ein einigermaßen berechenbares Wertaufbewahrungsmittel -, dann hat Krypto nichts damit zu tun.“ Bei den Kryptos handle es vielmehr um ein spekulatives Anlageobjekt. „Das bestätigen auch 90 Prozent der Menschen, die es nutzen. Sie wollen billig kaufen und teuer verkaufen“ – ein weiterer recht menschlicher Wunsch.