Die Sonne versinkt im Meer
Getty Images/iStockphoto/MaFelipe
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„Haut“ der Weltmeere

Oberste Schicht der Ozeane wird erforscht

Ein Vier-Millionen-Euro-Projekt widmet sich einer riesigen Meereszone, die bisher kaum erforscht ist: die „Haut“ der Ozeane – jene nicht einmal einen Millimeter dünne oberste Wasserschicht, in der komplexe biologische, chemische und physikalische Prozesse ablaufen.

Gemeinhin gelten die lichtlosen Tiefen der Weltmeere als geheimnisvoll und weitgehend unbekannt. Ebenso wenig erforscht ist aber die oberste Schicht, obwohl sie dem Menschen viel näher ist. Das von Oliver Wurl vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg geleitete Projekt BASS (Biogeochemical processes and Air-sea exchange in the Sea-Surface microlayer) fokussiert auf das Zusammenspiel von Biologie, Chemie und Physik in der Wasseroberfläche.

Für das Forschungsteam ist diese Schicht ein biogeochemischer Reaktor, wo aufgrund der besonderen Bedingungen ungewöhnliche Substanzen entstehen können. Zudem werden dort Gase und Energie zwischen Wasser und Atmosphäre ausgetauscht.

„Bodyguard des Meeres“

„Man kann sich diese Oberfläche wie den Bodyguard des Meeres vorstellen – da wird kontrolliert, was rein oder was raus geht“, so Thomas Reinthaler vom Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Universität Wien. Er konzentriert sich in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt auf die Untersuchung der Bakterien in der rund einen Mikrometer bis 500 Mikrometer dünnen Schicht.

Zu deren Bewohnern zählen neben Bakterien auch Algen und mikroskopisch kleine Tiere (Zooplankton). Die Lebensbedingungen dort sind hart angesichts hoher UV-Strahlung sowie starker Schwankungen der Salzkonzentration des Wassers und der Temperatur. Oft bildet sich an der Meeresoberfläche ein dünner, gelartiger Biofilm aus, der eine komplexe Mischung organischer Substanzen enthält. Dort reichern sich u. a. verschiedene Zucker, Eiweiße und Fettverbindungen an, die aufgrund der starken Sonneneinstrahlung auf besondere Weise miteinander reagieren.

Einfluss auf das globale Klima

„Durch kleinskalige Verwirbelungen gelangen diese Moleküle in tiefere Wasserschichten, wo sie in verschiedene Stoffkreisläufe eingeschleust werden und wichtige Funktionen übernehmen“, erklärte Wurl in einer Aussendung. Die Mikroschicht unterscheide sich deutlich von allen anderen Bereichen des Meeres und habe aufgrund ihrer besonderen Lage einen Einfluss auf das globale Klima. „Vor allem Bakterien können aufgrund ihrer großen Zahl den globalen Kohlenstoffkreislauf sehr stark beeinflussen“, so Reinthaler.

Die Mikroben nehmen Kohlenstoff auf. Einen Teil davon bauen sie ein, den Großteil veratmen sie aber und geben ihn als CO2 wieder ab. „Wenn der Stress an der Oberfläche zunimmt, etwa durch stärkere UV-Strahlung, gegen die Bakterien keine Schutzmechanismen haben, atmen sie mehr und geben mehr CO2 in die Atmosphäre ab. Im Zuge des Projekts wollen wir herausfinden, wie gestresst bzw. wie angepasst die Bakterien sind.“

Tests in 10.000-Liter-Becken

Um die Oberflächenschicht zu untersuchen, wird das Forschungsteam eine dreiwöchige Messkampagne mit zwei Forschungsschiffen im Sommer 2024 in der Nordsee in der Nähe von Helgoland durchführen. Zum Einsatz kommen dabei ein autonomer Forschungskatamaran sowie Treibbojen für verschiedene Messungen. Vor allem die Probenentnahme werde dadurch sehr erleichtert, so Reinthaler. Eine erste Vorkampagne finde bereits heuer im September statt, „da wollen wir testen, wie das ganze technisch funktioniert“.

Zudem werden die Forscher in der „Sea Surface Facility“ des ICBM – ein 10.000-Liter-Becken, das mit Wasser aus der Nordsee befüllt werden kann – die Oberflächenschicht unter kontrollierten Bedingungen simulieren. Es sollen auch verschiedene, typischerweise in der obersten Wasserschicht lebende Mikroben kultiviert und untersucht werden, welche Stoffe diese Organismen absondern. Weitere Teilprojekte befassen sich etwa mit chemischen Reaktionen in der Grenzschicht und dem Einfluss des Sonnenlichts sowie mit dem Austausch von Energie und Spurengasen zwischen Atmosphäre und Ozean.