3D-Darstellung von Nervenzellen im Gehirn
whitehoune – stock.adobe.com
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Messungen

Im Gehirn ist es heißer als gedacht

Rein physiologisch ist es gar nicht so leicht, einen kühlen Kopf zu bewahren, denn laut einer aktuellen Studie kann es im Gehirn ganz schön heiß werden: Die durchschnittliche Betriebstemperatur liegt mit 38,5 Grad deutlich über der Körpertemperatur. In tieferen Gehirnregionen können es sogar mehr als 40 Grad sein.

Früher konnte man die Temperatur im Inneren des Gehirns nur bei Menschen mit Hirnverletzungen messen. Mit Hilfe eines nichtinvasiven bildgebenden Verfahren, der Magnetresonanzspektroskopie, ist das laut den Forscherinnen und Forscher vom Medical Research Council (MRC) Laboratory for Molecular Biology der britischen University of Cambridge heute auch bei Gesunden möglich. Die Ausgangsfrage ihrer soeben im Fachmagazin „Brain“ erschienenen Studie: Welche Temperatur ist für das Gehirn eigentlich normal? Bisher wusste man lediglich, dass Nervenzellen sehr empfindlich auf Schwankungen reagieren, etwa auf große Hitze. Die meisten Fachleute seien davon ausgegangen, dass die Temperatur wohl recht ähnlich der im restlichen Körper sein werde.

Landkarte der Temperaturzonen

40 gesunde Freiwillige im Alter zwischen 20 und 40 Jahren kamen für die Untersuchung dreimal täglich ins Labor: morgens, am Nachmittag und am späten Abend. Außerdem erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Biomonitor für ihr Handgelenk, so wurden auch Lebensstilfaktoren und der individuelle Biorhythmus erfasst.

Am Ende konnte das Team eine Art Temperaturlandkarte des Gehirns erstellen, die auch regionale und zeitliche Unterschiede darstellt. Dabei zeigte sich, wie stark – anders als bisher angenommen – die Temperatur in dem stoffwechselaktiven Organ variiert, und zwar je nach Gehirnregion, Alter, Geschlecht oder Tageszeit. Zudem ist es deutlich wärmer als im Rest des Körpers: Im Durchschnitt hat es dort 38,5 Grad Celsius, um etwa zwei Grad mehr als unter der Zunge.

Temperaturen im Gehirn

Vergleich von männlichem und weiblichen Gehirn

An der Oberfläche waren die Gehirne der Probanden generell etwas kühler als tief drinnen. In den innersten Regionen – etwa im Thalamus – wurden mitunter sogar mehr als 40 Grad gemessen, die höchste Temperatur lag sogar bei 40,9 Grad. Bei allen variierte die Temperatur im Lauf des Tages um etwa ein Grad, am Nachmittag war das Organ am wärmsten, am kühlsten in der Nacht. „Die überraschendste Erkenntnis war, dass das gesunde Gehirn Temperaturen erreichen kann, die in anderen Körperteilen als Fieber gelten“, so Gruppenleiter John O’Neill in einer Aussendung der Universität. Bisher seien solche hohen Temperaturen nur bei Personen mit Hirnverletzungen gemessen worden.

Geschlecht und Alter

Im Schnitt war es in den Gehirnen der Frauen um 0,4 Grad wärmer als in jenen der Männer. Laut den Studienautorinnen und -autoren dürfte das mit dem Menstruationszyklus zu tun haben, die meisten Probandinnen hatten den Eisprung gerade hinter sich. Vor dem Eisprung waren es durchschnittlich 0,4 Grad weniger.

Temperaturlandkarten im Gehirn
N Rzechorzek/MRC LMB/Brain

Auch mit dem Alter wird das Gehirn anscheinend wärmer, besonders im tiefen Inneren, wo der Anstieg zwischen 20- und 40-Jährigen im Schnitt 0,6 Grad betrug. Wie das Team vermutet, verschlechtert sich die Fähigkeit zur Kühlung im Lauf der Lebensjahre, das könnte auch bei manchen altersbedingten neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielen.

Temperaturen im verletzten Gehirn

Abgesehen von den Daten der gesunden Personen analysierten die Forscherinnen und Forscher die Temperaturveränderungen bei 114 Patienten und Patientinnen in verschiedenen europäischen Krankenhäusern. Sie hatten eine schwere Hirnverletzung erlitten und brauchten Intensivpflege. Auch bei ihnen lag die Durchschnittstemperatur bei 38,5 Grad, die Schwankungen waren aber viel größer, zwischen 32,6 und 42,3 Grad. Nur bei einem Viertel zeigte sich dabei ein tageszeitlicher Rhythmus.

Ein solcher täglicher Rhythmus dürfte aber für die Gesundheit des Gehirns wichtig sein. Laut der Studie starben von den Patienten mit regelmäßigen Temperaturschwankungen im Untersuchungszeitraum nur vier Prozent, von jenen ohne Regelmäßigkeiten war es mehr als ein Viertel. Dieser rein korrelative Zusammenhang müsse aber noch in weiteren Studien überprüft werden, betonen die Autoren. Er könnte in Zukunft aber ein wichtiges Instrument darstellen, um den Zustand von Menschen mit Hirnschäden zu überwachen oder um neurologische Erkrankungen zu erkennen.