Eisbären, Grönland
Kristin Laidre/University of Washington
Kristin Laidre/University of Washington
Zoologie

„Klimafitte“ Eisbären entdeckt

In Grönland haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine bisher unerforschte Untergruppe von Eisbären entdeckt. Anders als ihre Artgenossen sind die Tiere bei der Jagd nicht auf Packeis angewiesen. So kommen sie besser in Umgebungen zurecht, die durch die steigenden Temperaturen auch in der Arktis immer häufiger werden.

Eisbären sind die größten Raubtiere an Land und gelten als echte Spezialisten bei der Anpassung an ihren eisigen Lebensraum. Ihr dichter Pelz mit der darunter liegenden dicken Fettschicht hält sie auch bei Temperaturen unter minus 50 Grad Celsius warm. Die transparenten Haare der Tiere erlauben es ihnen außerdem, mit ihrer dunklen Haut einfallendes Sonnenlicht besonders gut in Wärmeenergie umzuwandeln.

Die Größe und Kraft der Eisbären führt dazu, dass sie keine natürlichen Feinde haben. Dennoch ist die Tierart stark bedroht, vor allem durch die steigenden Temperaturen. In früheren Untersuchungen prognostizierten Fachleute etwa, dass Eisbären bis zum Jahr 2100 aus der freien Wildbahn verschwinden könnten – mehr dazu in Eisbären könnten bis 2100 aussterben.

Klimaerwärmung erschwert Robbenjagd

Unter normalen Umständen brauchen die Bären eine möglichst geschlossene Decke aus Packeis, um darauf auf Jagd zu gehen und ihrer Hauptnahrungsquelle, den Robben, hinterherzuwandern. Das Eis in ihren bevorzugten Lebensräumen schmilzt durch die steigenden Temperaturen aber immer weiter.

So sind viele Eisbären gezwungen, zumindest einen Teil des Jahres auf das Festland zu ziehen oder in Gebiete, in denen es noch ausreichend Eisflächen gibt. Oft finden die Tiere dort aber wenig Nahrung. Das immer schneller schmelzende Eis führt auch dazu, dass einzelne Bären monatelang an Orten festsitzen, an denen sie nicht auf die für sie überlebenswichtige Robbenjagd gehen können.

Neue Eisbärpopulation entdeckt

Doch nicht alle Eisbären brauchen Packeis, um jagen zu können. Ein internationales Forscherteam um die Polarforscherin Kristin Laidre von der Washington University hat vor Kurzem eine neue Untergruppe der Tiere im Südosten Grönlands erforscht. „Die Tiere waren davor nur den Jägern bekannt, die in der südöstlichen Region Grönlands leben. Genauer untersucht wurden sie bisher aber nicht“, erklärt der an der Studie beteiligte Biologe Fernando Ugarte gegenüber science.ORF.at.

Auf den ersten Blick unterscheidet die Bären nichts von anderen Eisbären. Bei genaueren Untersuchungen der Tiere und Studiendaten aus 36 Jahren erkannten die Expertinnen und Experten aber, dass sie genetische Besonderheiten aufweisen. Die Fachleute nehmen an, dass sich die Bären vor wenigen hundert Jahren von ihren Artgenossen getrennt haben und seitdem als isolierte Gruppe leben. Von diesen Bären gibt es nicht viele. Ugarte: „Wir schätzen, dass zu der Population nur ein paar hundert Tiere gehören.“

Eisbären, Grönland
Kristin Laidre/University of Washington

Die Population im Südosten Grönlands ist laut dem Team offiziell die 20. bisher entdeckte Eisbärenunterart. Im Fachjournal „Science“ stellten die Forscherinnen und Forscher gerade die Ergebnisse ihrer Untersuchung vor.

Jagen an Gletschermündung

Von anderen Artgenossen unterscheide die Tiere vor allem ihr Lebensraum und ein nie zuvor bei Eisbären beobachtetes Jagdverhalten. Die Umgebung der Bären im Südosten Grönlands sei ungefähr so, wie sie es bis zum Ende des 21. Jahrhunderts für zahlreiche Regionen der Arktis prognostizieren: relativ milde Temperaturen, nur kurze Zeit mit Packeis und damit auch kaum Möglichkeiten für die Tiere, die geschlossene Eisfläche zur Robbenjagd zu nutzen.

Für die Eisbären in Grönland scheint das aber kaum ein Problem zu sein. Sie haben sich von der Jagd auf dem Packeis größtenteils abgewandt und nutzen stattdessen das Eis von Gletschern, die im Meer münden, um darauf ihrer Beute aufzulauern. Das immer nachkommende Eis und die dort lebenden Robben erlauben es den Tieren, ganzjährig an Nahrung zu kommen.

Ugarte: „Mit Hilfe von Satellitendaten haben wir gesehen, dass die Eisbären in Südostgrönland nur wenige Kilometer am Tag wandern – hin und wieder von einem Fjord zum anderen.“ Andere bereits erforschte Eisbärengruppen würden hingegen deutlich mehr Kilometer am Tag zurücklegen, um ihrer Nahrungsquelle hinterherzuwandern.

Rückzugsort vor Klimaerwärmung

Die Forscherinnen und Forscher geben selbst an, dass im Meer mündende Gletscher nicht die Lösung für all die Probleme sind, mit denen Eisbären heutzutage konfrontiert sind. Dafür seien derartige Lebensräume in der Arktis auch zu selten. Trotzdem sei es ein positives Zeichen für alle Eisbären, dass ein paar Tiere auch im Südosten Grönlands überleben können. Ihre Existenz zeige, dass es Gebiete gibt, an die sich die Bären relativ schnell anpassen können. Dort entgehen sie den für viele Eisbären sonst fatalen Auswirkungen der Klimaerwärmung zumindest teilweise.

Wie wichtig Lebensräume wie jener im Südosten Grönlands jedoch langfristig für das Überleben der Eisbären sind, werde sich laut den Forscherinnen und Forschern erst noch zeigen. Auch die dafür unabdingbaren Gletscher sind der Klimaerwärmung ausgesetzt und daher langsam am Schmelzen. Ein besseres Verständnis darüber, wie sich die Eisbären an ihre Umgebung in Grönland angepasst haben und wie effektiv ihre Art zu jagen ist, könnte künftig zum Schutz und Erhalt aller gefährdeten Eisbären beitragen, hoffen die Forscherinnen und Forscher.