Forschungsschiff Polarstern im arktischen Meer
Arktis

Eisschmelze sorgt für klimafreundlichere Seewege

Ausgerechnet durch das aufgrund der Klimaerwärmung schmelzende Eis im Arktischen Ozean könnten klimafreundlichere Routen für die Schifffahrt entstehen, wie eine neue Studie zeigt. Für Russland hätte eine eisfreie Arktis hingegen deutliche Nachteile.

Teile der Arktis, die einst ganzjährig von Eis bedeckt waren, schmelzen so schnell, dass sie in nur zwei Jahrzehnten monatelang eisfrei sein werden. Das zeigen Klimamodelle. Unzählige Arten, die sich bei Minustemperaturen heimisch fühlen, seien dadurch gefährdet, warnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Neben ökologischen Auswirkungen wird die Klimaerwärmung im Arktischen Ozean aber auch rechtliche und geopolitische Folgen haben: Wie die Studie, die nun im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht wurde, zeigt, wird die Schiffbarkeit der Arktis bis 2065 so stark zunehmen, dass neue Handelsrouten entstehen könnten.

Russlands Einfluss in Arktis wird geschwächt

Und das werde nicht nur den CO2-Fußabdruck der Schifffahrtsindustrie verringern, sondern auch Russlands Einfluss in der Arktis schwächen, schreibt das Forschungsteam um Amanda Lynch vom Institut für Umwelt und Gesellschaft der US-amerikanischen Brown University. Denn im Gegensatz zur Antarktis fallen die arktischen Gewässer unter mehrere nationale Gesetze und internationale Abkommen.

Wie etwa das Seerechtsübereinkommen der UNO, das den arktischen Küstenstaaten seit 1982 erweiterte Befugnisse über die Hauptrouten einräumt: Artikel 234 besagt, dass Länder, deren Küsten in der Nähe arktischer Schifffahrtsrouten liegen, im Namen der „Vermeidung, Verringerung und Kontrolle der Meeresverschmutzung durch Schiffe“ die Möglichkeit haben, den Seeverkehr der Route zu regulieren – allerdings nur solange das Gebiet den größten Teil des Jahres mit Eis bedeckt ist.

„Schmelzendes Eis nie eine gute Nachricht“

Für die Studie untersuchten die Forscherinnen und Forscher, wie sich die Verringerung des Meereises auf die Anwendung von Artikel 234 auswirken könnte. Dazu modellierten sie vier wahrscheinliche Szenarien basierend auf unterschiedlichen globalen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels in den kommenden Jahren. „Es gibt kein Szenario, in dem schmelzendes Eis in der Arktis eine gute Nachricht wäre“, sagt Hauptautorin Lynch. „Die traurige Realität ist, dass das Eis bereits zurückgeht und wir anfangen müssen, kritisch über die rechtlichen, ökologischen und geopolitischen Auswirkungen nachzudenken.“

Auf dem Weg zur neuen MOSAiC-Eisscholle nimmt Polarstern den kürzesten Weg zum gewünschten Gebiet: über den Nordpol. Auf dem Weg nach Norden ist das Meereis überraschend schwach, hat viele Schmelzteiche und Polarstern kann es leicht brechen.
Steffen Graupner

Die Auswirkungen der Klimaerwärmung in der Arktis auf den Welthandel und die globale Politik, könnten erheblich sein, sagt Charles Norchi, Direktor des Zentrums für Meeres- und Küstenrecht der University of Maine. Der Koautor der Studie ist davon überzeugt, dass Russland Artikel 234 seit Jahrzehnten für seine eigenen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen nutzt.

So verlange Moskau unter anderem, dass vorbeifahrende Schiffe Mautgebühren zahlen und ihre Pläne zur Nutzung der Route im Vorhinein ankündigen. Die strengen Vorschriften, die mit hohen Kosten verbunden sind, seien Mitgrund, warum große Reedereien diese Wege umgehen und stattdessen den Suez- und Panamakanal nutzen – und damit längere, aber kostengünstigere Handelsrouten, auf denen weniger Probleme zu erwarten sind. Durch das schmelzende Eis wird die Schifffahrt laut Norchi aus russischen Hoheitsgewässern in internationale Gewässer der Arktis verlegt.

Kürzere Routen, geringere Kosten

Bereits frühere Studien zeigten, dass die arktischen Routen 30 bis 50 Prozent kürzer sind als Routen über den Suezkanal und den Panamakanal und die Transitzeiten dadurch um 14 bis 20 Tage verkürzt werden, sagt Lynch. Eröffnen sich aufgrund der Eisschmelze neue Wege in den internationalen arktischen Gewässern, könnten Reedereien ihre Treibhausgasemissionen um etwa 24 Prozent reduzieren und gleichzeitig Geld und Zeit sparen.

Es sei in jedem Fall besser, Fragen zur Zukunft der Schifffahrt jetzt zu stellen, so die Wissenschaftlerin – denn bis internationale Gesetze erlassen werden, dauere es ohnehin meist lange. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sollen Staats- und Regierungschefinnen und -chefs als Grundlage für Gespräche über die geopolitische Zukunft der Arktis dienen – und nicht zuletzt auch dabei helfen, fundierte Entscheidungen zum Schutz des Erdklimas zu treffen.