Mikrobiologin Christa Schleper, Wittgenstein-Preis 2022
APA/FLORIAN WIESER
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Auszeichung

Wittgenstein-Preis an Mikrobiologin Schleper

Der höchstdotierte Wissenschaftspreis des Landes – der oft als „Austro-Nobelpreis“ bezeichnete Wittgenstein-Preis – geht in diesem Jahr an die Mikrobiologin Christa Schleper von der Universität Wien. Ihre Forschung über Archaeen veränderte das Verständnis der Entwicklung des Lebens.

Schleper erhielt am Mittwochabend die mit 1,5 Mio. Euro dotierte Auszeichnung u. a. für die Erforschung der Entwicklung komplexen Lebens am Beispiel von Archaeen. Sechs Nachwuchsforscherinnen und -forscher bekamen jeweils mit bis zu 1,2 Mio. Euro dotierte Start-Preise.

Der Wittgenstein-Preis soll exzellenten Forschern „ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität bei der Durchführung ihrer Forschungstätigkeit garantieren, um eine außergewöhnliche Steigerung ihrer wissenschaftlichen Leistungen zu ermöglichen“. Die Auszeichnung wird vom Bildungsministerium finanziert und vom Wissenschaftsfonds FWF vergeben, die Preisträgerinnen und -träger werden von einer Jury ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgewählt.

Seit 2007 an der Uni Wien

Die im deutschen Oberhausen geborene Christa Schleper leitet das Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie und die Archaea-Biologie- und Ökogenomik-Forschungsgruppe an der Uni Wien. Nach Wien wechselte die zuletzt mehrfach in der Liste der „Highly Cited Researchers“ (der weltweit einflussreichsten Forscherinnen und Forscher, Anm.) erwähnte Mikrobiologin im Jahr 2007. Für Aufsehen sorgten in den vergangenen Jahren Entdeckungen von Schleper und Kolleginnen und Kollegen, die das Verständnis der Entwicklung des Lebens veränderten.

Mikrobiologin Christa Schleper, Wittgenstein-Preis 2022
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Die Mikrobiologin Christa Schleper mit dem Wittgenstein-Preis

Dafür machte sie sich auch zu unwirtlichen Orten der Erde auf und widmete sich als eine der ersten intensiv den Archaeen. Diese Einzeller sind an besonders extreme Biotope angepasst. Sie können teilweise bei sehr hohen Temperaturen, extremen pH-Werten, hohen Salzkonzentrationen oder hohen Drücken leben.

Im Jahr 2015 sorgten Schleper und Kollegen etwa im Fachjournal „Nature“ mit der Entdeckung der nächsten lebenden Verwandten der „höheren“, sprich einen Zellkern besitzenden Lebewesen (Eukaryoten), für Aufsehen. Gefunden wurden die urtümlichen Einzeller namens Loki-Archaeen in Proben aus 3.000 Metern Meerestiefe in der Nähe eines Hydrothermalfeldes namens „Loki’s Castle“ nördlich von Island.

Wittgenstein-Preis „etwas ganz, ganz Besonderes“

Schon im Jahr 2011 identifizierte Schleper ein Archaeon in näher liegenden Bodenproben rund um das damalige Institut in Wien-Alsergrund. Im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) zeigte Schleper mit Kolleginnen und Kollegen, dass „Nitrososphaera viennensis“ am Stickstoffabbau in Böden beteiligt ist.

Für die Erforschung dieser früher oftmals etwas vernachlässigten Lebewesen erhielt die Mutter zweier Kinder im Jahr 2016 einen „Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrates (ERC) in der Höhe von rund 2,5 Millionen Euro. Die nunmehrige Zuerkennung des Wittgenstein-Preises ist für Schleper nun „etwas ganz, ganz Besonderes, womit ich auch nicht gerechnet hätte“. Schon seit ihrer Diplomarbeit beschäftigt sie sich mit Mikroorganismen aus vulkanischen Quellen. Seither habe das Forschungsgebiet der Archaeen seither eine unglaubliche und spannende Entwicklung genommen.

Fenster in die frühe Evolution

Die Stärke des von Schleper maßgeblich mitaufgebauten Wiener Labors sei, dass man viel im Feld arbeite, molekularbiologische Studien anschließe, aber auch große Erfolge bei „der Kultivierung von sehr schwierig zu züchtenden Organismen“ erziele, sagt die Mikrobiologin. So eröffnen die überraschend komplexen Loki-Archaeen ein Fenster in die frühe Evolution und die Entwicklung der ersten Zellen, wie man sie auch in unserem Körper findet.

Dieser „Missing Link“ in der Entwicklungsgeschichte war vermutlich der Startpunkt für komplexere Lebensformen. Für Schleper, die seit einigen Jahren auch eine Vorlesung zur Klimakrise organisiert und sich in der Wissenschaftsvermittlung an Schulen engagiert, ist die Frage, wie es letztlich dazu gekommen ist, „eine der größten Fragen in der Biologie“. An der Klärung arbeite man mit den Wittgenstein-Mitteln nun weiter.

Karriereboost für sechs Nachwuchsforscherinnen

Gemeinsam mit dem Wittgenstein-Preis wurde auch der Start-Preis des FWF an sechs exzellente Forscherinnen und Forscher verliehen. Mit einer Fördersumme von jeweils bis zu 1,2 Mio. Euro ist dies die höchstdotierte Förderung für Jungwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in Österreich. Die Preise gehen in diesem Jahr an drei Frauen und drei Männer, fachlich dominieren Naturwissenschaften und Technik.

Die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger sind: William Barton vom Ludwig Boltzmann-Institut für Neulateinische Studien in Innsbruck, der sich in seinem Projekt dem Tagebuch des deutsch-französischen Klassischen Philologen Karl Benedikt Hase (1780-1864) widmet. Barton hat neun Bände des verschollen geglaubten, in Altgriechisch verfassten Tagebuchs entdeckt und will die rund 2.500 Seiten nun mithilfe von Künstlicher Intelligenz entschlüsseln.

Die Mikrobiologin Elfriede Dall vom Department für Biowissenschaften und Medizinische Biologie der Universität Salzburg forscht zum Protein Legumain. Dieses zerschneidet üblicherweise in einer bestimmten Organelle (Endo-Lysosom) der Zelle artfremde Eiweißstoffe und Krankheitserreger, damit sie entsorgt werden können. Wird Legumain aber an anderen Orten der Zelle aktiv, werden andere Mechanismen wirksam, die im Zusammenhang mit Erkrankungen wie Krebs oder Alzheimer stehen. Diese will Dall erforschen, um damit die Basis für Wirkstoffe zu legen.

Große Kardinalzahlen und ultraschnelle Vorgänge

Die Mathematikerin Sandra Müller vom Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie der Technischen Universität (TU) Wien versucht in ihrem Projekt die theoretische Basis der Mathematik zu erweitern. Dazu will sie zwei verschiedene Ansätze enger verknüpfen: einerseits große Kardinalzahlen, die verschiedene unendlich große Mengen beschreiben, andererseits das sogenannte Determiniertheitsaxiom, das Gewinnstrategien in Zweipersonenspielen liefert.

Der Physiker Marcus Ossiander wechselt für sein Start-Projekt von der US-Universität Harvard an die TU Graz. Er strebt an, extrem kleine und ultraschnelle Vorgänge zu messen, etwa wie ein Photon von einem Atom absorbiert wird. Dafür würde sich gut extrem kurzwelliges ultraviolettes Licht eignen, doch dafür gibt es nur wenige geeignete Optiken. Aus diesem Grund will er sehr dünne Nanomaterialien als Linse nutzen, um damit ein Mikroskop zu realisieren.

Nachhaltige Produkte und Verhalten von Vögeln

Mithilfe eines Bakteriums will der Biotechnologe Stefan Pflügl vom Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften der TU Wien aus CO2 energieeffizient eine große Bandbreite an chemischen Produkten herstellen. Dazu soll zunächst CO2 aus industriellen Quellen mit erneuerbarer Energie in Ameisensäure umgewandelt werden. Dann kommt „Acetobakterium woodii“ ins Spiel, ein Bakterium, das über einen 3,5 Mrd. Jahre alten Stoffwechselprozess verfügt. Mit entsprechenden Veränderungen soll ihm dieser ermöglichen, energieeffizient die Ameisensäure in chemische Produkte umzuwandeln.

Die Verhaltensforscherin Petra Sumasgutner von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle der Uni Wien untersucht anhand verschiedener Vogelarten, wie Störungen durch den Menschen die Nahrungssuche von Tieren beeinflussen. Dazu verwendet sie einerseits Daten, die von Greifvogelforschern aus der ganzen Welt während Lockdowns in der Coronavirus-Pandemie gesammelt wurden. Andererseits analysiert sie mithilfe von Beschleunigungssensoren das Verhalten von Kolkraben in Grünau und von Sumpfohreulen auf der Galapagos-Insel Floreana.