Junge Frau sitzt erschöpft am Schreibtisch
StockPhotoPro – stock.adobe.com
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„Blutwäsche“ bei Long Covid

Noch ist unklar, was hinter Long Covid steckt. Es gibt auch keine ursächliche Behandlung. Angeboten werden Therapien dennoch. Wie Recherchen des „British Medical Journal“ und des Fernsehsenders ITV News zeigen, reisen etwa viele Betroffene aus ganz Europa zur „Blutwäsche“ nach Zypern und Deutschland: Mitunter kehren sie nicht gesund, aber deutlich ärmer zurück.

Extreme Müdigkeit, Kurzatmigkeit und ein Schleier im Hirn – laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden zwischen zehn und 20 Prozent der Patienten und Patientinnen noch mindestens zwei Monate nach einer akuten CoV-Infektion unter solchen Symptomen, die unter dem Begriff Long Covid zusammengefasst werden. Manche Betroffenen können nicht mehr arbeiten, sind sogar für alltägliche Kleinigkeiten zu erschöpft.

Was hinter dem Leiden steckt, ist bis heute unklar. Es gibt auch noch keine allgemein anerkannte Behandlungsmethode, deren Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist. In der Hoffnung auf Linderung der Symptome begeben sich viele an Long Covid Erkrankte auf eigene Faust auf die Suche nach Therapien. Durch den großen Leidensdruck nehmen sie auch weite Reisen in Kauf und investieren nicht selten ihr Erspartes. Das zeigen heute veröffentlichte Recherchen des renommierten Fachmagazins „British Medical Journal“ (BMJ) und des britischen Fernsehsender ITV News, die einigen Fällen in Europa nachgegangen sind.

Vielversprechende „Blutwäsche“

Eine Betroffene ist etwa Gitte Boumeester aus den Niederlanden. Nachdem sich ihre Long-Covid-Symptome nicht besserten, musste sie – ein Jahr nach der Infektion im November 2020 – sogar ihren Job als Psychiaterin in Ausbildung aufgeben. Im Internet ist sie auf eine mögliche Behandlung gestoßen: „Blutwäsche“ (Apherese). Dabei werden die roten Blutkörperchen vom Plasma getrennt. Bevor die beiden Bestandteile vereint zurück in die Venen laufen, wird das Plasma gefiltert. Normalerweise werden so etwa Patienten mit stark erhöhten Blutfetten behandelt.

Die Idee, auch Long-Covid-Betroffene auf diese Weise zu behandeln, hat einen wissenschaftlichen Hintergrund: Eine der nach Ansicht des Fachmagazins „Science“ drei führenden Theorien zu Long Covid geht nämlich davon aus, dass Miniklümpchen im Blut hinter der Erkrankung stecken könnten. Erwiesen sei das allerdings nicht, wie Experten gegenüber dem „BMJ“ und „ITV News“ betonen. Vor allem, ob diese winzigen Gerinnsel tatsächlich die Ursache oder womöglich nur ein Symptom sind, sei völlig unklar.

Reise nach Zypern

Nachdem Boumeester die vielen zufriedenen Testimonials auf Facebook und der Website der Apheresis Association gelesen hatte, entschloss sie sich in ihrer Verzweiflung, die experimentelle Therapie auszuprobieren, in einem Long-Covid-Zentrum auf Zypern, das eine spezielle Form der „Blutwäsche“ („Heparin Induced Extracorporeal LDL Precipitation, kurz HELP-Apherese) anbietet.

Nach der Behandlung kehrte sie ohne spürbare Verbesserung der Symptome, aber um mehr als 50.000 Euro ärmer nach Hause zurück. Sie hat fast ihr gesamtes Erspartes ausgegeben, heißt es im „BMJ“. Sechs Mal war ihr Blut „gewaschen“ worden, neun Mal hatte sie außerdem eine spezielle Sauerstofftherapie erhalten, in einer benachbarten Privatklinik waren ihr zusätzlich Vitamininfusionen verabreicht worden. Darüber hinaus riet man ihr, Hydroxychloroquin einzukaufen, im Fall einer Reinfektion, obwohl zu dem Zeitpunkt längst klar war, dass das Malariamittel nicht hilft.

Experimentelle Behandlung

Gegenüber dem Rechercheteam rechtfertigt Markus Klotz, Kogründer des zypriotischen Long-Covid-Zentrums, die Behandlung. Der österreichische Geschäftsmann, der übrigens auch die Apheresis Association ins Leben gerufen hat, wurde nach eigenen Aussagen mittels HELP-Apherese von seiner Long-Covid-Erkrankung geheilt, in der Klinik von Beate Jaeger im Mülheim. Laut Klotz gebe es keinerlei Werbung für sein Zentrum. Behandelt werden Patientinnen und Patienten nur auf eigenen Wunsch.

In Deutschland hat die Internistin Beate Jaeger bereits im Februar 2021 begonnen, Long-Covid-Betroffene auf diese Weise zu behandeln. Gegenüber dem „BMJ“ sagt sie, dass sie bereits Tausende erfolgreich therapiert habe. Das spreche sich herum. Neben der „Blutwäsche“ erhalten ihre Patienten und Patientinnen blutverdünnende Medikamente, was Experten laut dem „BMJ“ auch sehr kritisch sehen, wegen der Blutungsgefahr. Für Jaeger ist zwar klar, dass es sich um experimentelle Therapien handelt, einsetzen will sie sie trotzdem weiterhin: Denn klinische Studien dauern für Erkrankte einfach zu lang. Beschwerden bei der zuständigen Ärztekammer gab es bisher keine.