Zwei ältere weiße Männer klopfen sich auf die Schultern
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Zellmutation

Verlust von Y-Chromosom verkürzt Männerleben

Frauen leben im Durchschnitt länger als Männer. Das könnte auch an einer gängigen Zellmutation bei älter werdenden Männern liegen. Eine Untersuchung an Mäusen zeigt, dass der Verlust des Y-Chromosoms in Blutstammzellen das Risiko für Herzprobleme erhöht.

Dass Männer mit fortschreitendem Alter einzelne Y-Chromosomen in ihren Zellen verlieren, ist laut dem Medizinforscher Kenneth Walsh von der Universität von Virginia schon seit längerem bekannt und alles andere als selten. Zwischen 40 und 50 Prozent aller Männer im Alter von 70 Jahren würden eine derartige Mutation aufweisen. Laut dem Medizinforscher handelt es sich um die gängigste Zellmutation bei Personen männlichen Geschlechts.

Männer unterschiedlich stark betroffen

Die Zahl der Betroffenen steigt mit zunehmendem Alter, aber auch durch gesundheitsschädliches Verhalten, wie etwa rauchen. Sie haben eine mosaikartige Mischung aus Blutzellen, von denen einige das Y-Chromosom besitzen und andere nicht. Walsh erklärt gegenüber science.ORF.at: „Manchen Männern fehlt das Y-Chromosom in nur wenigen Zellen, andere haben kaum noch welche, in denen es enthalten ist.“ Der Medizinforscher kenne etwa einen Fall, in dem über 80 Prozent der Blutstammzellen eines Mannes kein Y-Chromosom aufwiesen.

Lange habe man das nicht als großes Problem angesehen, meint Walsh. Er erklärt: „Einige Zeit wurde vermutet, dass das Y-Chromosom nach der Entwicklung der männlichen Genitalien kaum eine andere Funktion hat.“ Davon zeuge auch, dass das Chromosom unter Expertinnen und Experten gemeinhin als „genetische Einöde“ bekannt ist.

Alterserscheinung oder Krankheitsauslöser?

In früheren Studien habe sich aber bereits gezeigt, dass der mosaikartige Verlust der Y-Chromosomen, auch mLOY genannt (engl.: „mosaic loss of chromosome Y“), in irgendeinem Zusammenhang mit Erkrankungen stehen könnte. Bekannte Beispiele sind laut Walsh etwa Leukämie, Krebserkrankungen, Alzheimer oder Herzprobleme.

Bisher unklar war hingegen, wie sehr sich mLOY tatsächlich auf die Gesundheit der betroffenen Männer auswirkt. Walsh: „Man wusste nicht, ob die fehlenden Y-Chromosomen so wie graue Haare eine normale Alterserscheinung sind und nur zufällig mit den Erkrankungen einhergehen, oder ob sie direkt etwas mit der Entstehung dieser Krankheiten zu tun haben.“

Mäuse mit fehlendem Y-Chromosomen

Walsh machte es sich daher zusammen mit internationalen Forscherinnen und Forschern zur Aufgabe, mehr über den Zusammenhang zwischen mLOY und gängigen Herzproblemen herauszufinden.

Dazu untersuchte das Team Mäuse im Labor. Den Tieren wurden zuvor die Y-Chromosomen aus knapp 65 Prozent der Blutstammzellen entfernt. Walsh: „Wir konnten so genauer denn je untersuchen, ob die fehlenden Chromosomen tatsächlich zu Herzproblemen führen, oder ob sie eben nur eine Begleiterscheinung des Älterwerdens sind.“ Das Ergebnis präsentiert Walsh mit dem Forscherteam aktuell im Fachjournal „Science“.

Risiko für Herzversagen

Im Rahmen des Experiments zeigte sich: Die von mLOY betroffenen Mäuse waren deutlich anfälliger für Herzfibrosen, also einer Vernarbung des Herzgewebes. In weiterer Folge hatten die Tiere auch ein höheres Risiko für Herzversagen.

Um zu überprüfen, ob die Erkenntnisse aus dem Labor auch bei Menschen zu beobachten sind, untersuchte das Team Daten aus der UK Biobank. Das Ergebnis: „Männer, die mit fortschreitendem Alter weniger Y-Chromosomen aufweisen, sterben im Durchschnitt nicht nur früher, es ist auch wahrscheinlicher, dass sie irgendwann an Herzproblemen leiden“, so Walsh. Damit sei ein Verlust von Y-Chromosomen auch ein maßgeblicher Grund, warum die Lebenserwartung von Männern im globalen Durchschnitt hinter den Frauen zurückbleibt.

Keine genetische Einöde

Eines zeige das Ergebnis der Studie klar: „Das Y-Chromosom ist keine genetische Einöde. Es hat auch mit fortschreitendem Alter noch eine Funktion“, so Walsh. Eine wichtige Erkenntnis, auch laut dem Kardiologen Andreas Zeiher vom Universitätsklinikum Frankfurt. Er war an der Studie nicht beteiligt, hat aber einen ebenfalls im Fachmagazin „Science“ erschienenen Kommentar zu den Ergebnissen mitverfasst.

Zeiher: „Über die Funktion des Y-Chromosoms mit Ausnahme der Bestimmung des Geschlechts ist sehr wenig bekannt. Umso überraschender ist der jetzt erhobene und gut dokumentierte Befund, dass der Verlust des Y-Chromosoms im Tiermodel mit einem bindegewebigen Umbau des alternden Herzens einhergeht.“

Der Kardiologe erklärt außerdem: „Der Verlust des Y-Chromosoms als Risikofaktor für Männer, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu versterben, ist also vergleichbar mit den klassischen Risikofaktoren Diabetes oder Erhöhung der Blutfette, allerdings über einen ganz anderen Mechanismus.“

Antikörper könnten Vernarbung dämpfen

Die Ergebnisse aus dem Tierversuch könnten auch zur Entwicklung neuer Medikamente beitragen. Bestimmte Immunzellen im Blut (Makrophagen), die sich aus den Blutstammzellen bilden und denen das Y-Chromosom fehlte, begünstigten laut dem Team die Narbenbildung, indem sie im Herzgewebe einen Wachstumsfaktor aktivierten.

Aber: Die Forscherinnen und Forscher konnten den Wachstumsfaktor durch einen Antikörper neutralisieren. Der Prozess der Vernarbung wurde so zum Teil abgedämpft. Walsh spekuliert, dass die Antikörper auch bei Männern eine Herzfibrose abwenden könnten. Bis zu einem tatsächlichen Einsatz am Menschen seien aber noch zahlreiche Untersuchungen nötig.

Davon ist auch Zeiher überzeugt: „Nun gilt es zu klären, welche Risikofaktoren zum Verlust des Y-Chromosoms beitragen. Sind das dieselben, die auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen?“ Die Studie von Walsh sei die Grundlage vieler Fragen, die in künftigen Untersuchungen geklärt werden müssten, meint der Kardiologe.