Zwei Menschen schütteln einander die Hand
APA/DPA/SILAS STEIN
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Psychologie

Kooperationsbereitschaft seit 1950ern gestiegen

Die Menschen werden immer egoistischer, die Gesellschaft wird immer individualistischer: Eine neue US-Studie zieht dieses Urteil in Zweifel. Ihr zufolge ist die Bereitschaft, mit gänzlich unbekannten Menschen zu kooperieren, seit den 1950er Jahren deutlich gestiegen.

Für eine Übersichtsarbeit wertete ein Team um den Psychologen Daniel Balliet von der Universität Amsterdam über 500 Studien aus, die zwischen 1956 und 2017 das Kooperationsverhalten in den USA untersucht haben. In erster Linie handelte es sich dabei um Verhaltensforschung im Labor – in spielerischen Settings gehen Fachleute dabei etwa der Frage nach, wie Menschen auf bestimmte soziale Dilemmata reagieren und ob sie dabei mit Fremden kooperieren. Berühmtes Beispiel dafür: das Gefangenendilemma.

Um 20 Prozent gestiegen

In den 60 Jahren des Untersuchungszeitraums habe sich die Kooperationsbereitschaft um knapp 20 Prozent erhöht, wie das Team um Balliet im Fachjournal „Psychological Bulletin“ berichtet. „Über die Ergebnisse waren wir überrascht, denn viele Menschen glauben, dass die US-Gesellschaft in dieser Zeit an sozialem Zusammenhalt, gegenseitigem Vertrauen und Sorge ums Gemeinwohl verloren hat“, sagt der Studien-Ko-Autor Yu Kou in einer Aussendung der US-Psychologie-Gesellschaft APA. „Mehr Zusammenarbeit in und zwischen Gesellschaften könnte dabei helfen, globale Herausforderungen zu meistern – etwa in Sachen CoV-Pandemie, Klimaerwärmung und Migrationskrisen.“

Drei Hypothesen zu den Ursachen

Woran die gestiegene Kooperationsbereitschaft liegt, ist laut den Fachleuten unklar. Sie bieten aber drei Hypothesen an. Erstens könnte gerade eine verstärkte Individualisierung der Gesellschaft zu mehr Kooperation geführt haben: Denn dadurch komme man mit mehr und unterschiedlicheren Menschen in Kontakt als in früheren, homogeneren Gesellschaften – und mit diesen müsse man sich quasi arrangieren.

Zweitens könnte das seit den 1950er Jahren deutlich gestiegene Bildungsniveau dafür verantwortlich sein, denn gebildete Menschen neigen eher zu Zusammenarbeit. Drittens könnte die Tendenz schlicht an der Zusammensetzung der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer liegen: Dabei handelte es sich nämlich vorwiegend um Menschen, die Sozial- und Verhaltensforschung studieren. „Vielleicht ist es auch nur so, dass junge, gut gebildete Erwachsene über die Jahrzehnte kooperativer geworden sind“, heißt es in der Studie.

Wie auch immer, ihre Resultate widersprechen jedenfalls dem weit verbreiteten Gefühl, dass sich Vertrauen und Zusammenhalt in vielen Gesellschaften auf dem absteigenden Ast befinden. „Es ist faszinierend“, schreiben die Fachleute, „während die Kooperationsbereitschaft in den USA gestiegen ist, hat der Glaube daran tatsächlich abgenommen.“