Illustration des Coronavirus
CDC – Alissa Eckert, Dan Higgins
CDC – Alissa Eckert, Dan Higgins
Evolution

Wie sich Sars-CoV-2 weiterentwickelt

Je höher die Inzidenz, desto besser kann sich das Coronavirus weiterentwickeln. Das bestätigt sich auch aktuell, wie ein Blick in weltweite Sequenzierungsdaten zeigt. Derzeit liegt der Fokus der Evolution auf einer besseren Umgehung des Immunschutzes. Die Subvarianten von Omikron bleiben dominant, aber auch Delta gibt es noch.

Mit Omikron ist in Sachen Virus-Evolution eine Art Zeitenwende eingetreten, sagt der Molekularbiologe Ulrich Elling. Davor haben sich alle Varianten aus der Urform von Sars-CoV-2 entwickelt. „Jetzt sind wir zum ersten Mal in einer Phase, wo die aktuellen Varianten immer wieder aus Omikron hervorgehen.“

Kleine Mutationen, große Wirkung

Aktuell sei die Dynamik sehr hoch, das sehe man auch an der Geschwindigkeit, mit der neue Untervarianten auftreten und imstande sind, neue Wellen auszulösen. Die Veränderungen im Virus sind dabei oft nur geringfügig, die Wirkung aber enorm, so der Sequenzierungsexperte vom Institut für molekulare Biotechnologie der Akademie der Wissenschaften. „Wir beobachten, dass innerhalb dieser Omikron-Linien schon kleine Veränderungen in der Lage sind, signifikante Veränderungen hervorzurufen und damit wieder eine Welle auszulösen.“ Elling verweist auf das Beispiel BA.5, diese Untervariante habe nur drei Mutationen zusätzlich zu BA.2. „Aber: Sie sind an strategisch wichtigen Positionen und können eine neue Welle generieren.“

Das Muster der Evolution sei immer das gleiche: „Im ersten Schritt geht es darum, die Antikörper zu umgehen, und im zweiten Schritt um die Infektiosität.“ Dass die Lunge weniger betroffen ist, ist aus Ellings Blick keine logische Konsequenz der Evolution: „Wir beobachten das bei Omikron glücklicherweise, aber das ist nur zufällig so.“

Größere Entwicklungssprünge möglich

Derzeit verändert sich das Virus in unterschiedlichen Teilen der Welt ähnlich – so gleiche die Variante BA.2.75 in Indien einer neuen Variante in Deutschland, und auch in Österreich werden diese spezifischen Mutationen immer wieder nachgewiesen. „Es scheint eine Richtung zu geben, die sich im Moment nützlich für das Virus darstellt, und Mutationen in diese Richtung treten jetzt unabhängig voneinander auf.“

Was man dabei aber nicht übersehen dürfe, so der Forscher: Auch Delta mit seinen schweren Verläufen gibt es noch. Die Variante ist nicht ausgestorben, deshalb sei es möglich, dass auch sie in Herbst und Winter wieder eine größere Rolle spielt.

Dass es immer wieder auch größere Sprünge in der Entwicklung geben kann, zeigt der Erreger einer anderen Krankheit: „Bei Influenza beobachtet man, dass eine Zeit lang ein Stamm variiert wird und immer wieder neue Mutationen entstehen. Und nach einigen Jahren, wenn sich eine hohe Bevölkerungsimmunität aufgebaut hat, springt das Virus zu einer gänzlich neuen Variante – das sind die Jahre, in denen es wieder heftigere Influenzawellen gibt.“

Wellen flach halten

Was bedeuten diese Beobachtungen nun für den Herbst? Der Genetiker Ulrich Elling spricht sich generell für mehr Langfristigkeit bei den Überlegungen aus. „Wir müssen realisieren, dass es nicht nur um den nächsten Herbst geht, sondern dass wir in einer Endemie angekommen sind – nur fühlt sie sich anders an, als viele von uns erhofft hatten.“

Sars-CoV-2 sei hochinfektiös, deshalb werde es auch immer wieder Wellen geben. Um sie möglichst flach zu halten, müsse man sich Grundregeln zurechtlegen und dann auch beibehalten, so Elling: „Das ist die neue Realität für die nächsten Jahre. Wir müssen gewisse Adaptionen implementieren, etwa für saubere Innenluft und zum Schutz der vulnerablen Gruppen.“ Noch einmal über den Winter kommen und dann ist die Pandemie geschafft – diese Perspektive sieht der Forscher nicht.