Waldbrand in Kalifornien, 31.7.22
AFP – DAVID MCNEW
AFP – DAVID MCNEW
Klimaerwärmung

Wie mit den schlimmsten Szenarien umgehen?

Fachleute plädieren dafür, Worst-Case-Szenarien der Klimaerwärmung genauer als bisher zu untersuchen und zu kommunizieren. Doch Kollegen aus der Kommunikationswissenschaft widersprechen: Durch allzu apokalyptische Prognosen könnten Menschen in einer krisengeplagten Welt abstumpfen – und der nötige Klimaschutz vernachlässigt werden.

„Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der Klimawandel katastrophale Ausmaße annehmen könnte“, schreiben Klimafachleute im Fachmagazin „PNAS“ – darunter der frühere und ein aktueller Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber und Johan Rockström. Trotz 30-jähriger Bemühungen seien die durch den Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen weiter gestiegen. „Selbst wenn man den schlimmsten Fall von Klimaänderungen außer Acht lässt, ist die Welt auf dem besten Weg, bis zum Jahr 2100 einen Temperaturanstieg zwischen 2,1 und 3,9 Grad zu erleben.“

Dürren, Unruhen, Konflikte

Dennoch seien die Folgen einer Erwärmung um drei Grad bisher nicht ausreichend untersucht. Die Forschung fokussiere sich auf Szenarien, bei denen die Folgen des Klimawandels moderat seien (zwei Grad plus). „Sich einer Zukunft mit beschleunigtem Klimawandel zu stellen, ohne die schlimmsten Szenarien zu bedenken, ist bestenfalls naives Risikomanagement und schlimmstenfalls fatal töricht“, schreiben die Fachleute. Höhepunkt ihres schlimmsten Szenarios: das Aussterben der Menschheit – ausgelöst durch sich gegenseitig verstärkende Phänomene wie Dürren, Migration, Krankheiten, soziale Unruhen und internationale Konflikte.

Für den Klimaforscher Niklas Höhne von der Universität Wageningen ist ein derartiges Worst-Case-Szenario noch „relativ weit weg“. „Aber davor gibt es Abstufungen“, sagte der Experte, der nicht an dem Artikel beteiligt war. „Dass ganze Landesteile und Länder nicht mehr bewohnbar sind, ist durchaus wahrscheinlich.“

Zwei Milliarden Menschen in extremer Hitze

In ihrem Artikel schreiben die Forscher über die Ausweitung von Gebieten mit extremer Hitze – also einer jährlichen Durchschnittstemperatur von über 29 Grad Celsius. Gegenwärtig seien davon rund 30 Millionen Menschen in der Sahara und an der Golfküste betroffen. Laut Modellierungen des Teams könnten bis 2070 zwei Milliarden Menschen in solchen Gebieten leben.

Nach Ansicht der Autoren hat sich auch der Weltklimarat (IPCC) noch nicht ausreichend mit möglichen katastrophalen Folgen des Klimawandels befasst. Keiner der 14 Sonderberichte des IPCCs behandele extreme oder katastrophale Klimaveränderungen. Sie sollten den Autoren zufolge im nächsten Bericht berücksichtigt werden.

Überschwemmung im US-Bundesstaat Kentucky, 31.7.2022
AFP – Kentucky National Guard
Überschwemmung im US-Bundesstaat Kentucky, 31.7.2022

Carl-Friedrich Schleussner, Leiter des Bereiches Klimawissenschaft und Auswirkungen von Climate Analytics in Berlin, hingegen glaubt nicht, dass Worst-Case-Szenarien in den IPCC-Berichten bisher zu wenig untersucht wurden. „Wir steuern auf eine um die drei Grad wärmere Welt zu. Trotzdem sollte man mögliche extreme Erwärmungen unter solchen Szenarien in den Blick nehmen – das ganz gewiss. Aber dazu brauchen wir keine extremen Emissionsszenarien, sondern eher einen Fokus auf ‚low likelihood – high impact outcomes‘.“

Daniela Jacob, Direktorin des German Institute for Climate Services (GERICS), die nicht an dem Artikel beteiligt und selbst Leitautorin eines IPCC-Sonderberichts war, spricht sich für einen neuen IPCC-Bericht zu Extremszenarien aus. „Ich fände das richtig, weil es zwei Dinge tut: Ein Sonderbericht sammelt zum einen den Stand des Wissens zum Thema. Das zeigt, ob wir genug wissen oder Lücken haben“, sagt sie. „Und zum anderen triggert diese Analyse Forschung.“

Gegen Überforderung der Gesellschaft

Ob solche Szenarien aber außerhalb der Wissenschaft diskutiert werden sollten, sei fraglich. „Das ist für mich ein Schritt zu früh“, sagt sie. „Im Dialog mit der Öffentlichkeit kommt man mit solchen Endzeit-Szenarien nicht weiter, wenn man noch nicht weiß, was genau auf einen zukommen kann, wann das passieren könnte und was man tun muss, um das Schlimmste zu verhindern.“

In eine ähnliche Kerbe schlägt Michael Brüggemann, Professor für Klima- und Wissenschaftskommunikation an Universität Hamburg: „Natürlich sollen sich Forschende auch mit den extremen Szenarien auseinandersetzen, aber für die öffentliche Debatte ist es wichtiger, sich auf die wahrscheinlichen Risiken zu konzentrieren.“ Diese seien schon gravierend genug und eine große Herausforderung für Politik und Gesellschaft.

Waldbrand in Portugal, 1.8.22
AFP – PATRICIA DE MELO MOREIRA
Waldbrand in Portugal, 1.8.22

„Mit der russischen Invasion in der Ukraine und der andauernden COVID-Pandemie, plus diversen ökologischen Krisen, sind die Menschen überfordert und wenden sich bereits zum Teil von den Nachrichtenmedien ab. Wir brauchen eine konstruktive Debatte, was wir jetzt tun können gegen die Klimakrise, so wie sie jetzt schon existiert und vor der Tür steht. Was die Menschen mental eher überfordert, sind Spekulation über noch extremere Gefahren, die uns auch noch drohen könnten“, so Brüggemann.

“Begrenzte Kapazität an Sorgen“

Wie sich apokalyptische Szenarien auswirken, ist in der Wissenschaft selbst nicht ganz klar. „Einerseits können sie in der öffentlichen und politischen Aufmerksamkeitsökonomie durchdringen, ein Bewusstsein für das Thema schaffen und Dringlichkeit vermitteln. Andererseits kann es gleichermaßen vorkommen, dass Einzelne davon überwältig werden, keine individuellen Handlungsperspektiven sehen und die Szenarien ignorieren“, sagt etwa Philipp Schrögel, Leiter der Wissenschaftskommunikation am Käte Hamburger Centre for Apocalyptic and Post-Apocalyptic Studies (sic!) an der Universität Heidelberg. Der psychologische Effekt dahinter heiße „Finite Pool of Worry“: die „begrenzten Kapazität an Sorgen“, die dazu führen kann, dass Menschen „verständlicherweise“ ihre unmittelbaren Alltagsherausforderungen in den Vordergrund stellen und den Rest ausblenden.