Stefanie Arndt, „Expeditionen in eine schwindende Welt“
Stefanie Arndt
Stefanie Arndt

Forscherin: „Die Polarregionen senden Warnsignale“

Wie sich die gesamte Erde durch das Schmelzen von Eis und Schnee in der Arktis und Antarktis verändert, beschreibt die Polarforscherin Stefanie Arndt in ihrem gerade erschienenen Buch „Expeditionen in eine schwindende Welt“. Die Warnsignale aus den Polarregionen müsse man ernst nehmen, so Arndt im Gespräch mit science.ORF.at: Eine Verlangsamung der Klimaerwärmung sei möglich – „wenn jetzt gehandelt wird“.

1915 sank das Expeditionsschiff „Endurance“ des britischen Polarforschers Ernest Shackleton im antarktischen Weddellmeer, nachdem es von Packeis zerdrückt worden war. Diesen Frühling wurde ihr hölzernes Wrack in über 3.000 Meter Tiefe entdeckt. Im Expeditionsteam, das sich auf die Suche nach der „Endurance“ gemacht hatte, war auch die deutsche Polarforscherin Stefanie Arndt.

Die „Endurance“ zu finden, sei ein Meilenstein und ein „ganz besonderer Moment“ gewesen, erzählt Arndt gegenüber science.ORF.at. Neben der Suche nach dem Schiff widmete sich die Meereisphysikerin, die am deutschen Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven tätig ist, aber auch bei dieser Expedition ihrem eigentlichen Forschungsobjekt: dem Zustand von Schnee und Eis in den Polarregionen.

Jede Veränderung im System hat Folgen

Insgesamt zwei Jahre verbrachte Arndt bisher auf Expeditionen in der Arktis und der Antarktis – zumeist an Bord der „Polarstern“, dem Forschungseisbrecher und Flaggschiff des AWI. Wie etwa im Rahmen der Mosaic-Expedition, bei der die „Polarstern“ eingefroren in eine riesige Eisscholle durch die Arktis driftete. Ein großer Teil von Arndts Arbeit besteht in der Erhebung unzähliger Datensätze, die sie zurück in Bremerhaven auswertet: Schnee- und Eisdickendaten etwa und Beschreibungen von Schneekristallstrukturen.

Stefanie Arndt, „Expeditionen in eine schwindende Welt“
Christian R. Rohleder
Die Mosaic-Expedition in der Arktis: durch die Bewegung des Eises entstanden Risse quer durch das Camp

Datensätze, die notwendig sind, um das Zusammenspiel zwischen Atmosphäre, Meereis, Ozean und Ökosystem besser zu verstehen. Denn schon die kleinsten Veränderungen können große Auswirkungen auf den gesamten Planeten haben. Nirgendwo sonst reagiere das System so empfindlich und direkt wie an den Polkappen, schreibt Arndt in ihrem Buch „Expeditionen in eine schwindende Welt“.

Stefanie Arndt, „Expeditionen in eine schwindende Welt“
Tim Kalvelage
Stefanie Arndt bei der Arbeit

„Wir sehen enorme Veränderungen“

Diese „schwindende Welt“, die Polargebiete, bezeichnet Arndt als Frühwarnsystem und zugleich Brennpunkte der Klimaerwärmung: Die steigenden Temperaturen in der Arktis, das Abschmelzen der riesigen Eisschilde der Antarktis, der voranschreitende Rückgang der Artenvielfalt in den Meeren – da sei nichts, das nicht von der Klimaerwärmung betroffen wäre.

Die Klimaerwärmung sei längst „keine theoretische Bedrohung mehr, sondern eine offensichtliche Tatsache, und die sichtbaren Veränderungen in den fragilen Ökosystemen dieser Erde sind dabei nur Teil einer ganzen Kaskade von Umwälzungen“. Diese Veränderungen lassen sich nur aufhalten oder zumindest verlangsamen, wenn man die Zusammenhänge erkenne und verstehe.

Die Folgen einer eisfreien Arktis

Gerade in der Arktis seien „enorme Veränderungen“ zu sehen, erzählt die Polarforscherin im Interview. So schmelze etwa der Schnee, der eine Schutzschicht für das Eis ist, mit jedem Jahr früher. „Das sind Warnsignale, die man wirklich ernst nehmen muss. Man muss jetzt anfangen etwas zu verändern und darf nicht noch länger warten.“ Die Arktis ist die Region, die sich weltweit am schnellsten erwärmt – viermal so schnell wie im globalen Durchschnitt, wie eine aktuelle Studie zeigt. Bis 2050 werden Eisschollen im arktischen Ozean laut Prognosen des Weltklimarats (IPCC) zumindest im Sommer verschwinden.

Stefanie Arndt, „Expeditionen in eine schwindende Welt“
Mario Hoppmann, Alfred-Wegener-Institut
Ein Eisbär auf arktischem Meereis

Eine eisfreie Arktis habe Auswirkungen auf den gesamten Planeten, sagt Arndt: „Das Meereis der Arktis ist ein Schutzschild. Es sorgt dafür, dass die Solarstrahlung aus der Atmosphäre nicht zur Gänze in den Arktischen Ozean gelangt, sondern zu einem großen Teil wieder zurückreflektiert wird. Wenn aber das Meereis fehlt, gelangt die gesamte Sonnenenergie in den Ozean, und dann verändern sich die Strömungen der Ozeane, die ja global alle miteinander verbunden sind. Die Wärme bleibt dann nicht in der Arktis, sondern verteilt sich auf der gesamten Erde. Und das ist ein Problem, das uns am Ende des Tages alle trifft.“

Buchhinweis

Stefanie Arndt, „Expeditionen in eine schwindende Welt“, Rowohlt, Buchcover
Rowohlt Verlag
„Expeditionen in eine schwindende Welt“ von Stefanie Arndt ist am 16. August im Rowohlt Verlag erschienen

Hitzewellen als direkte Folge

Es sei wichtig, „die Veränderungen nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht zu beleuchten, sondern die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die Gesellschaft und damit in die Politik zu tragen, um gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie wir dem Klimawandel entgegenwirken könnten und wie wir uns gleichzeitig an die bereits auftretenden Auswirkungen anpassen werden müssen“, so Arndt gegenüber science.ORF.at. Denn die Klimaerwärmung sei da: „Wenn wir glauben, das alles sei weit weg von uns, dann irren wir.“

Was Arndt in den Polarregionen beobachtet, steht in direktem Zusammenhang mit zunehmenden Extremwetterereignissen überall auf der Welt: Hitzewellen, Dürren, Starkregen, der zu Überflutungen führt. Die Arktis und die Antarktis seien „ganz, ganz wichtig, um zu verstehen, was gerade bei uns hier in den mittleren Breiten passiert. All diese extremen Wetterlagen haben ihren Ursprung in den Polarregionen“.

Krieg Russlands verzögert Klimaforschung

Auch der Krieg Russlands in der Ukraine hat Folgen für die Klimaforschung. Im Buch unterstreicht Arndt mehrmals die große Bedeutung der internationalen Forschungsgemeinschaft, die Daten zusammenführt und Erkenntnisse teilt. Zur Zeit sei jedoch jede Zusammenarbeit mit Russland eingestellt, erzählt sie im Interview. „Vor allem in der Arktis trifft uns das sehr stark.“ Denn ohne den russischen Sektor des Arktischen Ozeans fehle ein wichtiger Puzzleteil. Und während etwa die Mosaic-Expedition vor zwei Jahren noch von russischen Eisbrechern unterstützt worden war, sei der Krieg nun auch in Organisation und Logistik spürbar.

Stefanie Arndt, „Expeditionen in eine schwindende Welt“
Stefanie Arndt
Die Neumayer-III-Station in der Antarktis und der Hubschrauber der „Polarstern“

Verzögerungen, für die in Anbetracht des raschen Fortschreitens der Erderwärmung eigentlich keine Zeit ist. Jede zusätzliche Tonne Kohlendioxid in der Atmosphäre führt zum Abschmelzen von drei Quadratmetern arktischem Meereis, zitiert Arndt im Buch eine Studie des Klimawissenschaftlers Dirk Notz vom deutschen Max-Planck-Institut für Meteorologie, die 2016 im Fachjournal „Science“ veröffentlicht wurde.

„Die politischen Mühlen mahlen langsam“

Vieles, das jetzt diskutiert werde, hätte man auch schon vor Jahrzehnten diskutieren können, sagt Arndt. Klare Anzeichen für die globale Erwärmung gebe es schon seit den 1980er Jahren. Dennoch ist die Polarforscherin froh, „dass wir jetzt diese Diskussion führen und das zunehmend etwas passiert – auch wenn die politischen Mühlen sehr langsam mahlen“.

Stefanie Arndt, „Expeditionen in eine schwindende Welt“
Stefanie Arndt
Kaiserpinguine vor dem Bug der „Polarstern“

Für Forschungsergebnisse aus der Arktis und Antarktis würde sich die Wissenschaftlerin jedenfalls ähnlich große Schlagzeilen wünschen, wie für den Fund des über 100 Jahre alten Wracks der „Endurance“. Denn: „Wir können die Klimaerwärmung nicht umdrehen und auch nicht von heute auf morgen stoppen, aber wir können all diese Prozesse verlangsamen.“ Damit müsse aber sofort begonnen werden.