Junge Person liegt mit Kopf auf ihren Unterarmen auf einem Computer
ponta1414/stock.adobe.com
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Neurowissenschaft

Warum Denken müde macht

Harte körperliche Arbeit erschöpft, aber auch angestrengtes Denken macht müde. Laut neuen Erkenntnissen hat das mit potenziell schädlichen Stoffen zu tun, die sich bei langen und mental fordernden Aufgaben im Gehirn ansammeln. Nur Pausen und Schlaf helfen.

Nach einem langen Arbeitstag vor dem Computer ist man körperlich vielleicht nicht so erschöpft wie nach einem Tag auf einer Baustelle, mental machen aber auch Bürojobs müde. Früher wurde diese Erschöpfung unter anderem als Illusion des Gehirns angesehen, um uns von eintönigen und langwierigen Arbeiten zu einfacheren und weniger komplexen Aufgaben zu bewegen. Je kürzer und weniger kompliziert eine Aufgabe ist, desto wahrscheinlicher ist es immerhin auch, bald belohnt zu werden.

Was es mit der mentalen Erschöpfung aber tatsächlich auf sich hat und welche Mechanismen dahinterstecken, hat nun ein Forschungsteam um den Pariser Neurowissenschaftler und Verhaltensforscher Antonius Wiehler untersucht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse präsentieren Wiehler und das Team aktuell im Fachjournal „Current Biology“.

Erschöpfung beeinflusst Entscheidungen

Gegenüber science.ORF.at erklärt der Verhaltensforscher: „Wir haben schon in früheren Studien festgestellt, dass mental erschöpfte Personen andere Entscheidungen treffen.“ Dazu führte der Verhaltensforscher Experimente durch, bei denen eine Personengruppe sechs Stunden lang mit komplexen Aufgaben konfrontiert wurde. Eine andere Gruppe musste vergleichsweise einfache Aufgaben lösen.

Währenddessen mussten sich die Probandinnen und Probanden mehrmals zwischen einer sofortigen, aber kleineren Belohnung und einer späteren, aber dafür größeren Belohnung entscheiden. Wiehler: „Man kann sich das in etwa so vorstellen: Willst du 30 Euro jetzt, oder 50 Euro in einer Woche?“ Jene Personen, die sich mental verausgabt hatten, wählten dabei überdurchschnittlich oft die Variante mit der sofortigen Belohnung und dem geringsten zusätzlichen Aufwand.

Glutamat im Gehirn

In der aktuellen Studie kombinierten die Forscherinnen und Forscher das Experiment mit Magnetresonanzspektroskopien (MRS). Das erlaubte ihnen, die chemischen Substanzen in den Gehirnen der Probandinnen und Probanden zu analysieren. „Wir wissen, dass viele der Entscheidungen im lateralen präfrontalen Kortex des Gehirns getroffen werden", so Wiehler. Deswegen hat das Team diesen Bereich genauer unter die Lupe genommen. Das Resultat: Bei jenen Personen, die zuvor schwierige Aufgaben lösen mussten, befand sich mehr Glutamat in der Hirnregion als bei der Kontrollgruppe.

Die Annahme der Forscherinnen und Forscher: Zu viel Glutamat im präfrontalen Kortex sorgt dafür, dass die Hirnregion nur mit immer größerem Aufwand aktiviert werden kann. Die Folge ist mentale Erschöpfung und ein beeinflusstes Entscheidungsverhalten. Viel Glutamat erschwert generell die kognitive Kontrolle, für die laut Wiehler der präfrontale Kortex verantwortlich ist.

Potenziell gefährlicher Botenstoff

Grundsätzlich ist das Vorhandensein von Glutamat im Gehirn aber nichts Außergewöhnliches. Wiehler: „Glutamat ist der wichtigste anregende Neurotransmitter und wird dann produziert, wenn es viel Informationsaustausch oder generell Aktivität im Gehirn gibt.“ Aber: „Vermutlich ist zu viel von diesem Neurotransmitter nicht gut für uns.“

Zu viel Glutamat im Gehirn erschöpft nicht nur, es könnte im Extremfall auch dazu führen, dass die Gehirnzellen zu sehr angeregt werden und absterben. Auch neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson stehen mit veränderten Werten des Botenstoffs in Verbindung.

Gegenmittel Schlaf

Entgegenwirken könne man der mentalen Erschöpfung nicht, so Wiehler. Er erklärt: „Das einzige, das hilft, sind Pausen und Schlaf.“ Laut dem Verhaltensforscher gibt es einige Hinweise darauf, dass Glutamat im Schlaf aus den Synapsen verschwindet.

Die Erkenntnisse aus der Studie könnten künftig auch zu Fortschritten in der Medizin führen. Analysen des präfrontalen Kortex könnten etwa dabei helfen, starke mentale Erschöpfung frühzeitig zu erkennen. Eventuellen Burnouts in besonders anstrengenden Berufen könnte man so vielleicht entgegenwirken. In künftigen Studien möchten die Forscherinnen und Forscher außerdem untersuchen, warum der präfrontale Kortex besonders anfällig für Glutamatansammlungen ist.