Fachjournale in einer Bibliothek, Publikationen
©salita2010 – stock.adobe.com
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Wissenschaftsforschung

Studienanzahl vervielfacht, Geschlechterkluft bleibt

Die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen ist in den vergangenen 50 Jahren explodiert. Covid-19 hat diesen Trend nur kurz unterbrochen, wie eine neue Analyse zeigt. Frauen haben weltweit betrachtet in der Pandemie nicht unbedingt seltener publiziert – der Abstand zu ihren Kollegen ist aber nach wie vor groß und wird in vielen Ländern sogar noch größer.

Da Publikationen eine besonders harte „Währung“ für akademische Karrieren sind, zeigt die Analyse, wie weit die Wissenschaft noch von einer Gleichberechtigung der Geschlechter entfernt ist.

Riesige Datenmenge

75 Millionen Studien, die in 37 Ländern zwischen 1970 und 2020 in rund 100 Fächern erschienen sind: Was Milad Haghani von der University of New South Wales in Sydney, Australien, und sein Team untersucht haben, beeindruckt durch den schieren Umfang. Möglich gemacht hat das die Datenbank Web of Science, mit der (üblicherweise kostenpflichtig) in über 20.000 wissenschaftlichen Zeitschriften nach Zitationen gesucht werden kann.

Die Fachleute um Haghani durchforsteten die Datenbank für ihre vor Kurzem in „Plos One“ erschienene Studie in dreierlei Hinsicht: um den Gesamttrend der Veröffentlichungspraxis in den vergangenen 50 Jahren nach Ländern und Disziplinen zu untersuchen, um die Unterschiede zwischen Frauen und Männern genau zu bestimmen und um einen möglichen Einfluss von Covid-19 zu erkennen.

Umweltwissenschaften boomen

Zum Gesamttrend: Die internationale Forschergemeinde veröffentlicht immer mehr – 1970 waren es noch weniger als 500.000 Publikationen pro Jahr, 2018 bereits über drei Millionen. In den meisten Fächern stieg die Produktivität linear, in einigen gar exponenziell. Am meisten gewachsen sind Ingenieursdisziplinen, Nano- und Geowissenschaften sowie einige medizinische Fächer wie Onkologie. Seit gut zehn Jahren besonders hoch sind die Zuwachsraten in den Umweltwissenschaften. Vergleichsweise weniger sind die Sozial- und Geisteswissenschaften gewachsen.

Delle durch Covid-19

Das Jahr mit dem größten Gesamtwachstum war laut Studie 2019 – als sechs Prozent mehr publiziert wurde als im Jahr zuvor. 2020 hat die Pandemie die Veröffentlichungspraxis erschüttert: Über die Hälfte aller Fächer publizierte weniger als davor; Politik- und Geschichtswissenschaft, Pädagogik und Philosophie verzeichneten gegenüber 2019 ein Minus von zwölf Prozent, auch Technik- und Computerwissenschaften publizierten weniger – die einzig deutliche Delle im 50 Jahre langen Aufwärtstrend.

Ursache dafür könnten bei Letzteren sein, dass deren Veröffentlichungen oft in Konferenzbänden erscheinen, Konferenzen aber zum größten Teil abgesagt waren. Bei Geistes- und Sozialwissenschaften wiederum dauert die interne Qualitätskontrolle durch die Fachgemeinde – das Peer-Review – länger als in den Naturwissenschaften, sie könnten deshalb durch Covid-19 stärker beeinträchtigt gewesen sein.

CoV: Kaum Unterschiede zwischen Frauen und Männern

Was den Geschlechteranteil betrifft, konnten die Autorinnen und Autoren „keine substanzielle Änderung“ durch Covid-19 ausmachen – im Gegensatz zu anderen Analysen zuvor, die von einer deutlich geringeren Veröffentlichungsmenge von Forscherinnen berichteten und mit einer höheren Belastung durch Care-Arbeit argumentierten.

Laut der aktuellen, nach Eigenangaben „bisher größten Studie zu dem Thema“ nahm die Produktivität weltweit und über alle Fächer hinweg bei beiden Geschlechtern ab. In einigen Ländern – dazu gehören die USA, Deutschland und die Niederlande – sank sie bei Männern sogar stärker als bei Frauen. Ausnahme der Covid-19-Delle: In der Pandemie nahestehenden Fächern wie Epidemiologie oder Biomedizin wurde 2020 deutlich mehr publiziert.

Geschlechterkluft vertieft sich

All das ändert freilich nichts an der nach wie vor existierenden Geschlechterkluft. Im Untersuchungszeitraum zwischen 2006 und 2019 ist der Abstand zwischen Frauen und Männern in den untersuchten 37 Ländern sogar noch größer geworden. Zwar publizieren auch Forscherinnen immer mehr, Forscher aber deutlich „mehr mehr“. Am stärksten gilt das für Länder im Nahen Osten, an wenigsten für angelsächsische Länder.

Das einzig positive Signal in Sachen Verringerung des Gender Gaps: Es gibt zunehmend mehr Studien, an der zumindest eine Autorin beteiligt war. Der Abstand zu den Studien mit zumindest einem Autor wird also geringer.

Wie sich Covid-19 langfristig auf das Publikationsverhalten auswirkt, bleibe abzuwarten, betonen die Fachleute. Ihre Studie endet 2020, nach dem ersten Jahr der Pandemie. Den Gender Gap gebe es weltweit, in einigen Ländern weite er sich aber noch aus. „Wenn sich nichts ändert, wird diese Kluft auch noch in 100 Jahren bestehen“, heißt es in der Studie.