Gefaltetes Protein
Jeff Fitlow/Rice University
Jeff Fitlow/Rice University
Künstliche Intelligenz

„Licht ins dunkle Universum der Proteine“

In der Biomedizin ist dank Künstlicher Intelligenz (KI) ein Fortschritt gelungen, der von vielen als „bahnbrechend“ bezeichnet wird: Der Aufbau von insgesamt 200 Millionen Proteinen wurde entschlüsselt. Das eröffnet neue Wege in Erforschung und Therapie von Krankheiten.

Proteine gehören zu den Grundbausteinen des Lebens. Ohne Eiweiße funktionieren Zellen nicht, es entsteht keine Energie, Sauerstoff kommt nicht an sein Ziel. Um Krankheiten, aber auch Medikamente besser zu verstehen, muss man den Aufbau von Proteinen möglichst genau kennen – und hier sind in den letzten Jahren große Fortschritte gelungen, so Matthias Wilmanns, Leiter des europäischen Labors für Molekularbiologie in Hamburg: „Es hat eine Revolution in den Lebenswissenschaften gegeben – nicht nur, aber auch durch die Erkenntnisse über die Strukturen dieser Bausteine.“

Tief ins Proteinuniversum eindringen

Das Unternehmen DeepMind, heute ein Teil von Google, hat sich mit seinem Programm Alphafold schon vor vielen Jahren auf den Aufbau dieser Eiweißbausteine spezialisiert. Die Idee: Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Licht in das riesige Universum der Proteine bringen. Damit das funktioniert, musste man noch eine Ebene tiefer in die Eiweiße eindringen.

Zwei dreidimensionale Protein-Strukturen: Links das Eiweiß eines Malaria-Parasiten, mit dem er sich gegen das Immunsystem schützen könnte; rechts ein Protein, mit dem sich der Erreger einer Pflanzenkrankheit wahrscheinlich resistent gegen Wirkstoffe macht
DeepMind
Links die Proteinstruktur eines Malaria-Parasiten, mit dem er sich gegen das Immunsystem schützen könnte; rechts jene, mit dem sich der Erreger einer Pflanzenkrankheit wahrscheinlich resistent gegen Wirkstoffe macht.

Sie bestehen aus unterschiedlichen Aminosäuren, chemischen Verbindungen, die in der Natur in einem bestimmten Muster auftreten. Und genau diese Muster nutzt man für das Rechenprogramm: „Man hat die Wahrscheinlichkeit analysiert, dass Aminosäure A mit Aminosäure B in Kontakt steht. Natürlich wurde das Programm weiterentwickelt, zum Beispiel hat man mit genetischen Algorithmen gearbeitet.“ Das Resultat: Ein Programm, das mittels künstlicher Intelligenz die Struktur von Eiweißen vorhersagt. Von Beginn an ist diese künstliche Intelligenz der Wissenschaft zur Verfügung gestanden, nun hat man fast alle dreidimensionalen Strukturen des Protein-Universums erfasst – das sind rund 200 Millionen.

Antibiotika-Resistenzen knacken

„Die Eiweißstrukturen, die jetzt bekannt sind, sind eine sehr große Hilfe für das Design von neuen Medikamenten“, so Wilmanns im Interview mit Ö1. Denn kennt man den Aufbau von Eiweißen, kann man am Computer berechnen, ob ein neuer Wirkstoff funktioniert – zum Beispiel ob ein neues Antibiotikum etwas gegen ein resistentes Bakterium ausrichten kann, an dem sich bisherige Wirkstoffe die Zähne ausbeißen (siehe Video).

Die 200 Millionen Eiweißstrukturen stehen der Wissenschaft in einer riesigen Datenbank kostenlos zur Verfügung – dafür haben sich das Europäische Labor für Molekularbiologie und DeepMind zusammengetan. Das Feld für zukünftige Anwendungen ist groß: von neuen Therapieansätzen für seltene Erkrankungen bis zu einem besseren Verständnis von Alzheimer und Parkinson, denn auch hier gelten falsch gefaltete, verklumpte Proteine als Hauptursache.