3-D-Illustration von Molekülen und Atomen
Anusorn – stock.adobe.com
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Teilchenphysik

Ioneneinschlag in Superzeitlupe

Wenn geladene Teilchen – Ionen – auf eine Oberfläche treffen, werden Elektronen herumgeschleudert. Was bei diesem ultrakurzen Ereignis genau passiert, haben Wiener Physikerinnen und Physiker nun mit einer Art Superzeitlupe nachvollziehbar gemacht.

Die Wissenschaft kann Vorgänge rekonstruieren, die auf einer Femtosekunde-Skala ablaufen – eine „Femtosekunde“ ist ein Billiardstel einer Sekunde. Der Superzeitlupen-Ansatz beruht auf dem Detektieren von Elektronen, die beim Impakt auf atomarer Skala herumgewirbelt werden.

Bei ihren Analysen zur Aufklärung dieser extrem kurzlebigen Vorgänge setzten die Fachleute um Anna Niggas vom Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität Wien (TU) auf Atome, denen sie im Labor zwischen 20 und 40 Elektronen entreißen.

Im Fall der aktuellen Untersuchung handelt es sich um das Element Xenon, das im Normalfall 54 Elektronen besitzt. Gehen dem Edelgas derart viele negativ geladenen Teilchen ab, sind sie entsprechend stark positiv geladen. Diese Ionen hungern dann nach Elektronen-Nachschub. Mit diesen Xenon-Ionen beschossen die Physikerinnen und Physiker extrem dünne Schichten aus Graphen oder Molybdändisulfid. Die Ergebnisse ihrer Arbeit erschienenen nun im Fachjournal „Physical Review Letters“.

Extrem schneller Teilchenaustausch

Obwohl das aus einem gleichmäßigen Netz von Kohlenstoffatomen bestehende Graphen nur die Dicke einer Atomschicht hat, ist der Elektronenhaushalt nach dem Aufprall und Durchdringen der Struktur der Ionen wieder ausgeglichen.

Es kommt also zu einem starken Austausch der Teilchen: „Der Elektronentransport in Graphen ist extrem schnell“, erklärt Niggas in einer Aussendung der TU am Montag. Dieses entscheidende Detail ist zwar bereits bekannt, direkt beobachten lässt sich der in einer Femtosekunde ablaufende Vorgang aber nicht. Der Schlüssel liegt in der Analyse der Elektronen, die dabei ihre Plätze tauschen oder aus dem Verbund geschleudert werden.

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TU Wien, Institut für Angewandte Physik
Hoch geladene Ionen emittieren beim Durchdringen dünner Materialien viele Elektronen, die von der Verteilung der Elektronen im Material beeinflusst werden.

„Wir konnten die Anzahl und die Energie dieser Elektronen sehr genau messen, die Ergebnisse mit theoretischen Berechnungen vergleichen, die unsere Ko-Autoren von der Universität Kiel beisteuerten, und auf diese Weise konnten wir auf Femtosekunden-Skala entschlüsseln, was hier genau passiert“, so die Forscherin.

Messung von „fliegenden“ Elektronen

In sehr hoher Geschwindigkeit laufen folgende Schritte ab: Nähert sich ein Ion der Oberfläche, zieht seine stark positive Ladung bereits an den negativ geladenen Elektronen im Kohlenstoff-Netzwerk. Dadurch sammeln sich noch vor dem Aufprall an der Stelle viele Elektronen, wo die Berührung zwischen den Atomen in weiterer Folge stattfindet.

Noch vor dem Einschlag verstärkt sich der Effekt weiter, sodass einzelne negativ geladene Teilchen bereits auf das Xenon-Ion übergehen. Dann durchschlägt es die dünne Struktur in Rekordzeit. Dabei wirft es einige Elektronen so kraftvoll aus dem Verbund, dass diese von der Wabenstruktur des Graphens nicht wieder eingefangen werden können.

Die davonfliegenden Teilchen können dann aufgezeichnet werden, was den Forschern und Forscherinnen erlaubt, den Ablauf zu rekonstruieren. Im Material selbst wird das so entstandene Ungleichgewicht an negativ geladenen Teilchen rapide ausgeglichen. Die nachrückenden Elektronen erzeugen dabei kurzfristig starke Ströme.

Mit der neuen Methode habe man einen Zugang, „der ganz fundamentale neue Einblicke erlaubt. Die Ergebnisse helfen uns zu verstehen, wie Materie auf sehr kurze und sehr intensive Strahlungseinwirkung reagiert – nicht nur auf Ionen, sondern letztlich auch auf Elektronen oder Licht“, verdeutlichte Richard Wilhelm von der TU Wien. Das sei etwa bei der Kernfusionsforschung wichtig, wo die Wände eines Fusionsreaktors ständig mit energiereichen Ionen beschossen werden.