Nationalsozialismus

„Versteckt und verschwiegen“

Siegfried Loewes Geschichte ist kein Einzelfall, und dennoch ist sie außergewöhnlich. Der 1939 in Brüssel geborene Wiener wurde als jüdisches Kind während der NS-Zeit versteckt, wuchs bei Adoptiveltern auf und erfuhr erst als Erwachsener von seiner wahren Identität. „Versteckt und verschwiegen“ heißen seine nun erschienenen Erinnerungen.

Die Aufarbeitung der lange verdrängten, lange verschwiegenen Familiengeschichte gelang Loewe mit Hilfe des Historikers Rudolf Leo, der im Otto Müller Verlag bereits die Bücher „Bruck unterm Hakenkreuz“ und „Der Pinzgau unterm Hakenkreuz“ publiziert hat. Zweistimmig erwecken sie das, was Loewe erst spät erfahren hatte, in etlichen, klar umrissenen Kapiteln zum Leben: kursiv gesetzt in den bewegenden persönlichen Erinnerungen Loewes, in Normaldruck in den nüchternen Recherchen und Archivfunden Leos.

Als Dreijähriger übergeben

Aus diesen Bestandteilen schält sich ein Leben, das beinahe schon früh ein Ende gefunden hätte. Die aus Polen stammenden Eltern Chaim und Zlata Grossmann, die Anfang der 30er-Jahre in Saarbrücken lebten, flüchteten vor den Nationalsozialisten nach Brüssel und entschieden sich 1942, ihren damals dreijährigen Sohn Siegfried und die einjährige Rebecca einer fremden Familie zu übergeben, um wenigstens ihnen eine Überlebenschance zu bieten.

Das Buch:

Rudolf Leo: „Versteckt und verschwiegen. Erinnerungen von Siegfried Loewe“, Otto Müller Verlag

Die Hoffnung war nicht unberechtigt: Die belgische Lehrerin Andrée Geulen, später als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt und Ende Mai im Alter von 100 Jahren gestorben, half mit Gleichgesinnten, das Leben von rund 3.000 jüdischen Kindern zu retten.

Mauer des Schweigens

Das Ehepaar Grossmann wurde im KZ ermordet, ihre Kinder überlebten versteckt unter falschen Namen, kamen 1945 in ein Kinderheim und wurden von dem aus Wien stammenden Ehepaar Loewe adoptiert. Sie waren nach Belgien geflüchtet, hatten dort ebenfalls versteckt überlebt und kehrten nach dem Krieg mit den beiden Adoptivkindern Rebecca und Siegfried nach Wien zurück.

Die beiden wuchsen bei ihren strengen Adoptiveltern auf, die sie nie über ihre wahre Herkunft aufklärten, doch immer mehr unter Druck gerieten: Harry, der um zehn Jahre ältere Bruder der beiden Geschwister, der unter Umständen überlebt hatte, über die er nie sprechen wollte, fand die Wiener Adresse der Loewes heraus – und stieß dort auf eine Mauer des Schweigens und Abweisens.

Zufälliger Wahrheitsfund

Im Buch zitiert Siegfried Loewe aus den immer dringlicheren, insistierenden Briefen Harrys, der Kontakt mit seinem Bruder und seiner Schwester aufnehmen will, die Adoptiveltern anfleht, den Kindern endlich die Wahrheit zu sagen, und immer wieder vertröstet wird. Statt Dankbarkeit beherrscht heute Unverständnis und Verbitterung die Erinnerung Siegfrieds an seine, Ende der 1990er-Jahre verstorbenen Adoptiveltern – etwas, was ihm durchaus auch zu schaffen macht.

Doch die Wahrheit über seine Herkunft fand er zufällig heraus – als Student an der Sorbonne, wo ihm die Übersetzung jener persönlichen Dokumente ausgehändigt wurde, die zuvor seine Adoptivmutter an ihm vorbei eingereicht hatte. „Es fehlen mir auch heute noch die Worte, um meine Reaktion zu beschreiben. Es war ein tiefer Schock.“

Wenigstens die Enkel und Urenkel sollen erfahren, „wo der eigentliche Ursprung eines Teils ihrer Familie liegt“, begründet Loewe seinen Entschluss, das Schweigen endlich zu brechen – ein Schweigen, das „das konstante Verhaltensmuster der Nachkriegsgeneration (war), sowohl auf der Täter- wie auf der Opferseite“.