YouTube, Videos, Falschinformation
Inoculation Science Project
Inoculation Science Project
YouTube-Experiment

„Impfung“ gegen Falschinformationen

Kurze Videoclips, die über Manipulationstaktiken aufklären, können zur „Immunisierung“ gegen Falschinformationen in sozialen Netzwerken beitragen. Das zeigt ein großangelegtes Experiment auf YouTube, geleitet von der Universität Cambridge.

Dass sich Menschen meist eher durch Gefühle als durch Tatsachen von einer Sache überzeugen lassen, gehört zum Einmaleins jeder Waschmittelwerbung – eine Taktik, die auch bei der Verbreitung von Falschmeldungen im Internet genutzt wird. Besonders Inhalte, die negative Gefühle wie Angst, Wut und Empörung hervorrufen, verbreiten sich in den sozialen Netzwerken rasant.

Die 90-Sekunden-Videos, die im Rahmen des Experiments eingesetzt wurden, klären über diese Strategien auf – bedienen sich in den ersten Sekunden aber selbst der kritisierten Manipulationstechniken. Dadurch sollen die Zuseherinnen und Zuseher mit diesen Strategien vertraut gemacht werden. Denn das sei die beste Voraussetzung, um diese künftig selbst entlarven zu können, also quasi immun dagegen zu sein, heißt es in der Studie, die nun im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht wurde.

Erklärvideos mit „Star Wars“ und „South Park“

Die Forscherinnen und Forscher hinter dem Projekt „Inoculation Science“ vergleichen diese Vorgehensweise mit einem Impfstoff: Menschen werden vorbeugend den Manipulationstechniken von „Fake News“ ausgesetzt, damit sie diese später unabhängig vom Thema erkennen – eine Idee, die auf die Inokulationstheorie in der Sozialpsychologie zurückgeht. Sieben Experimente mit insgesamt fast 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden für die Studie durchgeführt – darunter die erste Feldstudie zur Inokulationstheorie in einem sozialen Netzwerk.

Die Videos wurden von Psychologinnen und Psychologen der Universitäten Cambridge und Bristol in Zusammenarbeit mit dem Technologieunternehmen Jigsaw produziert. Der Google-Inkubator Jigsaw widmet sich laut eigenen Angaben u. a. der Bekämpfung von „Fake News“, Extremismus und Onlinezensur. Um Strategien wie etwa das Herstellen einer falschen Dichotomie zu erklären, wird in den Videos auch auf Beispiele aus beliebten Serien und Filmen wie „Star Wars“ und „South Park“ zurückgegriffen.

Das Drehbuch der Falschinformationen

„Propaganda, Lügen und Irreführungen werden fast immer nach demselben Drehbuch erstellt“, so Koautor Stephan Lewandowsky von der Universität Bristol. Für die Entwicklung der Videos habe man „die Rhetorik von Populisten“ analysiert, in der häufig Sündenböcke und falsche Dichotomien vorkommen. „Faktenprüfer können nur einen Bruchteil der online kursierenden Unwahrheiten widerlegen. Wir müssen den Menschen das Drehbuch der Falschinformationen beibringen, damit sie erkennen, wenn sie in die Irre geführt werden.“

Laut Studie werden Menschen durch vorherige Informationen – „Prebunking“ – besser gegen manipulative Techniken geschützt als durch das klassische „Debunking“, also das Entlarven von „Fake News“. „Prebunking“ sei bei der Bekämpfung der Flut von Falschinformationen effektiver als die Überprüfung jeder einzelnen Unwahrheit, nachdem sie sich verbreitet hat. Letzteres sei zudem in großem Maßstab unmöglich und könne sogar dazu beitragen, dass jene, die an Verschwörungstheorien glauben, diese noch vehementer verteidigen, weil sie sich persönlich angegriffen fühlen.

„Wirksam für jeden, der nicht gerne manipuliert wird“

Erstautor Jon Roozenbeek von der Universität Cambridge betont in einer Aussendung, dass die Videos kontextunabhängig sind. „Sie stellen keine Behauptung darüber auf, was wahr ist und was nicht. Sie sind wirksam für jeden, der nicht gerne manipuliert wird.“ Der „Impfeffekt“ funktioniere zudem für Menschen mit unterschiedlichem Bildungsniveau und unterschiedliche Persönlichkeitstypen – „die Grundlage für eine allgemeine Impfung gegen Falschinformationen“.

„YouTube hat weltweit weit über zwei Milliarden aktive Nutzer. Unsere Videos könnten leicht in die Werbefläche auf YouTube eingebettet werden, um Falschinformationen vorzubeugen“, so Koautor Sander van der Linden, der das Social Decision-Making Lab der Universität Cambridge leitet. Die Studie liefere jedenfalls den notwendigen Machbarkeitsnachweis, dass das Prinzip der psychologischen „Impfung“ auf Hunderte Millionen Benutzerinnen und Benutzer weltweit ausgedehnt werden könne.