Lange war man der Ansicht, es sei das große Hirnvolumen gewesen, das die ersten Menschen-Vorfahren von ihren nächsten Verwandten unterschieden hat. Doch das ist nicht der Fall. Ihr Gehirn war noch vergleichsweise klein, mit 360 bis 390 Kubikzentimetern nicht größer als jenes des heutigen Schimpansen.
Anatomie eines Gängers
Was die Vormenschen aber schon relativ früh entwickelt haben, war der aufrechte Gang, wie nun eine aktuelle Untersuchung im Fachblatt „Nature“ nachweist. Es geht um den sieben Millionen Jahre alten Sahelanthropus tschadensis, zu Deutsch: um den Sahel-Menschen aus dem Tschad, wo die Knochen 2001 ausgegraben wurden. Und diese zeigen: „Sahelanthropus war bevorzugt auf zwei Beinen unterwegs“, so Studienautor Jean-Renaud Boisserie von der Universität Poitiers.
Das schließen die Forscher und Forscherinnen aus Frankreich und dem Tschad zum einen aus der Anatomie von Unterarm- und Oberschenkelknochen. Zum zweiten aus der Lage des Hinterhauptloches im schon länger bekannten Schädel. Das liegt beim Sahel-Menschen nämlich ziemlich mittig – was darauf hinweist, dass er seinen Kopf bereits aufrecht balanciert hat, so wie moderne Menschen das auch tun.
Allerdings war Sahelanthropus laut den nun vorgelegten Analysen wohl noch ein Teilzeit-Baumbewohner und bewegte sich auch noch auf allen Vieren fort. Nicht per Knöchelgang, wie das für Schimpansen und Gorillas typisch ist, sondern mit festem Griff im Geäst der Bäume.
Menschen- oder Affenlinie?
Was die Einordnung dieser Befunde betrifft, darüber scheiden sich die Geister in der Fachgemeinde. Die einen sagen, er war mehr Affe als Mensch und daher möglicherweise der Schimpansen-Linie zuzuordnen. Studienleiter Franck Guy ist da anderer Ansicht. Sahelanthropus sei ein Vormensch gewesen, da sei er „sehr sicher“, so Guy bei einer Pressekonferenz vergangenen Dienstag.
Jean-Renaud Boisserie konkretisiert im Gespräch mit science.ORF.at: „Sahelanthropus war am richtigen Ort – Afrika – zur richtigen Zeit – im Miozän – und er hatte die richtigen anatomischen Eigenschaften, um als frühster Vertreter der menschlichen Abstammungslinie zu gelten. Es bräuchte entscheidende neue Entdeckungen und überzeugende Analysen, um hier zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Aber ich bin sicher, dass die Debatte dennoch weitergehen wird.“
"The missing limb“
Unstimmigkeiten hatte es im Vorfeld auch über die unter Verschluss gehaltenen Knochen gegeben. Dieses Streitthema ist nun offenbar ad acta gelegt. Auf die Journalistenfrage, ob nun auch andere Teams die wertvollen Stücke unter die Lupe nehmen dürften, antwortete Guy knapp: „Absolut." Womit auch fachlich einem Konsens nichts mehr im Wege steht.
Den Sahelanthropus zughörigen Schädel hatte das Forschungsteam bereits 2001 der Weltöffentlichkeit präsentiert. Unter all den an der Ausgrabungsstätte Toros-Menalla in der Djurab-Wüste freigelegten Fossilien waren dann der damaligen Studentin Aude Bergeret drei weitere Knochen aufgefallen – eben jene, die nun, rund 20 Jahre später, in der aktuellen Studie beschrieben wurden.
Dass sie ebenfalls zu Sahelanthorpus gehören, war anfänglich nicht klar gewesen. Nun steht fest: Es handelt sich um einen entscheidenden Mosaikstein – „the missing limb“, wie das britische Fachblatt „Nature“ auf seiner Titelseite schreibt.