Natürliche und künstliche Embryonen zeigen kaum Unterschiede
Amadei and Handford
Amadei and Handford
Synthetische Embryonen

Ungeklärter Rechtsstatus

Künstliche Embryonen ohne Eizellen, Spermien und Gebärmutter: Wovon Forschungsteams soeben berichtet haben, wirft eine Reihe ethischer Fragen auf. Einige davon sind altbekannte, andere neu – etwa was den rechtlichen Status der synthetischen Embryonen betrifft, wie der Bioethiker Ulrich Körtner in einem Gastbeitrag skizziert.

Die Forschung auf dem Weg zu Embryonen, die ohne Verwendung von Keimzellen erschaffen werden, hat mit den jüngsten Studien in Israel und des USA eine neue Stufe erreicht. Die vorliegenden Ergebnisse sind beeindruckend. Das Potential synthetischer Embryonen für die Erforschung der embryonalen Entwicklung, der Entstehung von Krankheiten in frühen Entwicklungsstadien ist hoch.

Porträtfoto Ulrich Körtner
Hans Hochstöger

Über den Autor

Ulrich H.J. Körtner ist Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.

Synthetische Embryonen könnten künftig auch in der Arzneimittelforschung eingesetzt werden und als Alternative zu Tierversuchen dienen. Hoffnungen richten sich auch darauf, aus synthetischen Embryonen Gewebe für Organtransplantationen zu gewinnen. Nicht auszuschließen ist auch, die neuen Erkenntnisse in der Fortpflanzungsmedizin anzuwenden, sei es, um in fernerer Zukunft künstliche Keimzellen zu erzeugen, sei es, um eine Alternative zum reproduktiven Klonen zu entwickeln.

Wird auch bei Menschen angewendet werden

Schon mit Organoiden – Modelle mit Organeigenschaften –, die aus menschlichen Stammzellen entwickelt werden, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan worden. Bereits 2013 gelang es dem Forschungsteam des IMBA-Direktors Jürgen Knoblich in Wien erstmals, ein menschliches Hirn-Organoid herzustellen. Mit den nun aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) entwickelten synthetischen Embryonen ist eine neue Stufe erreicht.

Ob die Ergebnisse der vorliegenden Studien irgendwann auch auf den Menschen übertragen werden, ist keine Frage. Die Frage lautet lediglich, wann dies geschehen wird, in welchem Umfang und in welchem rechtlichen Rahmen. Dazu ist zu klären, welchen ontologischen, rechtlichen und moralischen Status synthetische Embryonen im Vergleich zu herkömmlichen, aus Ei- und Samenzellen erzeugten Embryonen haben.

Viele offene Fragen

Um nur eine Frage herauszugreifen: Ethisch und weltanschaulich strittig ist schon bei herkömmlichen Embryonen, die in vitro erzeugt werden, ob ihnen Menschenwürde zukommt oder nicht. Müsste, wer diese Frage bejaht, das Gleiche auch von synthetischen Embryonen sagen? Dann wären die Erzeugung und Beforschung synthetischer menschlicher Embryonen kategorisch abzulehnen. Wie fallen die Antworten aus, wenn man biologisch klare Indikatoren dafür hat, dass synthetische Embryonen bei aller weitreichenden Ähnlichkeit doch von anderer Art als Embryonen sind, die aus Keimzellen entstanden sind?

Aber auch die Erzeugung tierischer synthetischer Embryonen wirft ethische Fragen auf. Einerseits lässt sich ins Feld führen, die Zahl an Tierversuchen zum Beispiel durch den Einsatz synthetischer Mäuseembryonen irgendwann in der Zukunft drastisch zu senken. Es gibt freilich auch in der Tierethik kritische Positionen gegenüber der Erzeugung von Chimären oder von transgenen Tieren, deren Organe für die Transplantationsmedizin verwendet werden. Die Kontroverse hat sich erst am Beginn des Jahres neu an der Transplantation eines Schweineherzens in den USA entzündet.

Rechtlich nicht erfasst

Bestehende Gesetze reichen als Regelwerk für die Forschung an synthetischen menschlichen Embryonen kaum aus. Das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) vermeidet überhaupt den Begriff „Embryo“ und spricht stattdessen von „entwicklungsfähigen Zellen“. Als solche sind gemäß § 1 Abs. 3 FMedG „befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen anzusehen“. Synthetische Embryonen sind von dieser Definition augenscheinlich nicht erfasst. Das wäre freilich rechtlich eingehend zu prüfen. Ähnlich steht es auch in Deutschland. Ob synthetische menschliche Embryonen vom deutschen Embryonenschutzgesetz erfasst sind, ist strittig. Andere Länder haben eine weit liberalere Gesetzgebung.

Art. 18 der Biomedizinkonvention des Europarates (Oviedo-Konvnetion) verbietet die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken. Nach dieser Bestimmung können folglich nur Embryonen, die zu reproduktionsmedizinischen Zwecken erzeugt worden, aber nicht mehr für die Fortpflanzung verwendet werden sollen (sog. „überzählige Embryonen“) zu Forschungszwecken verwendet werden. In vielen Ländern darf an Embryonen in vitro nicht länger als 14 Tage geforscht werden.

Aufweichen der 14-Tage-Grenze?

Die synthetischen Mäuseembryonen hat man für einen Zeitraum von 8,5 Tagen sich entwickeln lassen. Das ist die Hälfte der Tragezeit bei Mäusen. Schon sind Stimmen zu hören, die nun auch die 14-Tage-Grenze für die Forschung an menschlichen Embryonen zumindest in begründeten Einzelfällen aufheben wollen. Wenn an synthetischen menschlichen Embryonen länger als 14 Tage geforscht werden dürfte, weshalb dann nicht auch an herkömmlichen Embryonen? Wenn synthetische menschliche Embryonen zu Forschungszwecken erzeugt werden dürfen, weshalb dann weiterhin keine menschlichen Embryonen aus Ei- und Samenzellen?

Die ethische Grundsatzfrage lautet, ob die notwendige ethische und die gesellschaftliche Debatte mit dem rasanten Tempo der Forschung noch Schritt halten kann. Die Debatten um die ethische Zulässigkeit der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen und an menschlichen Embryonen in der Petrischale zu Beginn der 2000er-Jahre wirken in Anbetracht der neuen Techniken fast schon antiquiert. Wird die Ethik einmal mehr der Entwicklung hinterherhinken, oder kann es noch gelingen, rechtzeitig einen internationalen Diskurs über die Chancen und Gefahren der Forschung für den Menschen in Gang zu bringen? Die Zeit drängt.

Grundsatzfragen diskutieren

Vor allen Detailfragen steht dabei im Raum, wie wir uns selbst als Menschen verstehen und künftig verstehen wollen. Was macht den Menschen zum Menschen? Worin besteht seine Würde? Gibt es nur die Würde des geborenen Individuums, oder auch so etwas wie eine Gattungswürde der menschlichen Spezies? Und wodurch wird im Einzelfall die Menschenwürde oder die Gattungswürde verletzt? Es sind solche Grundsatzfragen, die es in Anbetracht der jüngsten Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der synthetischen Embryonen gesellschaftlich breit zu diskutieren gilt.