Homo Sapiens

Sprache und strategisches Denken als evolutionärer Vorteil

Wie sich das menschliche Gehirn im Lauf der Evolution entwickelt hat, lässt sich mit Knochenfunden nicht nachvollziehen. Ein Wiener Team hat nun anhand alter DNA und Gehirnnetzwerkdaten die Geschichte der Gehirnfunktionen von frühen Hominiden bis zum modernen Menschen rekonstruiert: Sprache und strategisches Denken haben dem Homo sapiens beim Überleben geholfen.

„Es ist kaum möglich, die komplexe Vergangenheit des menschlichen Gehirns zu verstehen, wenn man sich nur auf die Anatomie stützt. Wir haben versteinerte Schädel, aber keine vollständig erhaltenen Gehirne unserer Vorfahren“, erklärte Wulf Haubensak vom Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien in einer Aussendung zu der nun im Fachjournal „Cell Reports“ erschienenen Studie. Aus diesem Grund haben die Forscherinnen und Firscher um Haubensak die Daten des vor rund einem Jahrzehnt vollständig sequenzierten Erbguts von Neandertalern und Denisovanern mit modernen Bildgebungsdaten des Gehirns verknüpft und analysiert.

Die Bildgebungsdaten stammen aus funktioneller Magnetresonanztomographie (MRT). Mit dieser Methode lassen sich jene Gehirnbereiche bildlich darstellen, die aktiv sind, wenn man eine bestimmte Aufgabe ausführt. „Diese Bereiche stellen Neuronen-Netzwerke dar, die eine Reihe von Genen aktivieren, damit sie ihre Aufgabe erfüllen“, erklärte die Erstautorin der Studie, Joanna Kaczanowska, vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien. „Wir wissen, welche Gene in welchen Netzwerken aktiv sind, und wir können die Sequenzen dieser Gene beim Menschen mit denen anderer Arten vergleichen.“

Sprache und strategisches Denken

Mittels Data Mining suchten die Forscher nach Spuren natürlicher Selektion in sämtlichen menschlichen Genen, die an Gehirnnetzwerken beteiligt sind, um herauszufinden, welche kognitiven Merkmale dem stärksten Selektionsdruck ausgesetzt waren. Dazu nutzten sie einen neuartigen, von Florian Ganglberger und Katja Bühler vom Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung (VRVis) in Wien entwickelten computergestützten neuroanatomischen Ansatz.

Nachdem sie dieses Verfahren beim modernen Menschen angewandt hatten, gingen sie die Abstammungslinien bis zu den archaischen Primaten zurück, also von vor 60 Millionen Jahren bis heute, und kartierten dabei den Selektionsdruck. Dabei fanden sie heraus, dass Gene, die an der Sprache beteiligt sind, vor 7,4 bis 1,7 Millionen Jahren bei frühen Vorfahren des Homo sapiens zahlreiche Veränderungen erfahren haben.

Das deutet den Wissenschaftlern zufolge darauf hin, dass grundlegende Sprachfähigkeiten für die Entwicklung von Denisova-Menschen, Neandertalern und modernen Menschen entscheidend waren. Sie zeigten weiters, dass nach der Abspaltung des modernen Menschen vom Neandertaler vor 800.000 Jahren auch strategisches Denken zu einem wichtigen Merkmal der natürlichen Selektion wurde. Die Kombination aus fortgeschrittenen Sprachkenntnissen und strategischem Denken könnte den Unterschied zwischen dem Überleben des modernen Menschen und dem Untergang der Denisovaner und Neandertaler ausgemacht haben.

Die Forscherinnen und Forscher betonen in ihrer Arbeit, dass sie „wie bei jeder neuro-archäologischen Methode nur wahrscheinliche und plausible Szenarien vorschlagen“. Diese könnten leicht erweitert und verbessert werden, sobald mehr alte Genome und Hirndaten verfügbar werden.