Drei ältere Frauen auf einer Bank
APA/dpa/Julian Stratenschulte
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Ökonomie

Warum Menschen in Sozialstaaten länger leben

Menschen in Wohlfahrtsstaaten sind tendenziell gesünder und leben länger als jene, die in stärker marktorientierten Ländern leben. Grund dafür sind laut einer neuen Studie nicht geringere Einkommensunterschiede, sondern stärkere Absicherungen gegen Risiken wie Krankheit und Arbeitslosigkeit.

Das berichten die kanadischen Politikwissenschaftler Olivier Jacques und Alain Noël von der Universität Montreal. „Großzügige Sozialstaaten haben allgemein eine gesündere Bevölkerung. Wir wollten verstehen, warum das so ist“, erklärt Hauptautor Jacques.

Einkommensgerechtigkeit nicht entscheidend

Für die soeben im Fachmagazin „PLOS ONE“ erschienene Studie verglichen die Wissenschaftler wirtschaftliche Kennzahlen mit der Gesundheit der Bevölkerung in 21 OECD-Mitgliedsstaaten, darunter auch Österreich, zwischen 1971 und 2010. Je weniger die Sozial- und Versicherungsleistungen in privaten Händen lagen, desto geringer war die Sterblichkeitsrate pro 100.000 Einwohner – so das allgemeine Ergebnis.

An einer reinen Umverteilung von Geld liegt das aber nicht, wie die Forscher betonen: Sie untersuchten nämlich auch die Einkommensverteilung in den 21 Ländern, und mehr Ausgeglichenheit in dieser Hinsicht hing nicht mit der Gesundheit zusammen.

Abgemilderte Risiken, gesündere Menschen

Sehr wohl war das bei zwei anderen Phänomenen der Fall: zum einen bei der „Polarisierung des Arbeitsmarkts“, gemeint ist damit das Auseinanderdriften zwischen hoch ausgebildeten, gut bezahlten Personen und jenen mit geringer Bezahlung und Qualifikation sowie schlechten Arbeitsbedingungen; zum anderen bei der „Verringerung von Arbeitsmarktrisiken“ – damit sind Steuern und Transferleistungen gemeint, die den plötzlichen Verlust von Haushaltseinkommen verringern, etwa durch eine staatliche Arbeitslosenversicherung. Je weniger diese Risiken ausgeprägt sind und je weniger polarisiert der Arbeitsmarkt ist, desto geringer sind die Sterblichkeitsraten, schreiben die Autoren.

Die bessere Gesundheit einer Bevölkerung „liegt nicht unbedingt daran, dass mehr Gerechtigkeit herrscht. Viel mehr hängt es davon ab, wie Sozialleistungen soziale Risiken für die Gesundheit abfedern können“, fasst Jacques gegenüber science.ORF.at zusammen. Für die Lebenserwartung einer Bevölkerung sei weniger eine gerechte Einkommensverteilung ausschlaggebend, sondern die Reduktion sozialer Risiken, wie etwa beim Verlust des eigenen Vermögens durch Arbeitslosigkeit.

Keine Arbeit zu haben, hängt generell mit einem schlechteren Gesundheitszustand zusammen, sagt Jacques. „Wenn ein Staat aber dafür sorgt, dass Menschen dank einer Arbeitslosenversicherung eine ordentliche Summe Geld bekommen, bis sie einen neuen Job finden, dann wird die schädliche Wirkung von Arbeitslosigkeit verringert.“

Österreich im Mittelfeld

Am stärksten werden die sozialen Risiken in Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark abgefangen. Laut Noël und Jacques sind das jene Länder, die ihre Bürgerinnen und Bürger besonders in Notlagen unterstützen. Zu den Maßnahmen zählen ein einfacher Zugang zum Gesundheitssystem sowie eine gut funktionierende Arbeitslosen-, Kranken- und Pensionsversicherung. Letztere wirke sich am stärksten auf den Gesundheitszustand einer Bevölkerung aus, bei Männern sei der Zusammenhang Wohlfahrtsstaat und Gesundheit generell größer als bei Frauen.

„Österreich liegt in Sachen Wohlfahrt im Durchschnitt der 21 Länder“, so Jacques. Co-Autor Alain Noël erklärte, dass angelsächsische Länder am unteren Rand der Rangliste liegen, also Großbritannien, Australien und die USA. „Dazu auch noch Griechenland, Italien und die Schweiz“, so Noël gegenüber science.ORF.at. Wohlfahrtsstaaten würden doppelt zur Gesundheit beitragen, resümieren die beiden Politikwissenschaftler. „Direkt, indem sie Menschen Ressourcen und Dienstleistungen zur Verfügung stellen, und indirekt, indem sie soziale Risiken abmildern.“